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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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hätte er nicht mehr zustande gebracht. Er sah im Arbeits- und im Nähzimmer nach ihr, in den Gästezimmern und ihrem gemeinsamen Schlafzimmer. Schließlich entdeckte er sie im Badezimmer, wo sie im Dunkeln auf dem Boden saß, die Stirn auf den hochgezogenen Knien, die Arme über dem Kopf. Das Mondlicht, gesprenkelt von den Blätterschatten der Bäume vor dem Fenster, bildete auf dem Marmorboden ein helles Fleckchen. Dort lagen die zerdrückte Zellophantüte einer großen Packung Cremehütchen und daneben ein leerer Milchbehälter. Luxford nahm den säuerlichen Geruch von Erbrochenem wahr, der jedesmal, wenn Fiona ausatmete, in die Luft stieg.
    Er hob den leeren Zellophanbeutel und den Milchbehälter auf und warf beides in den Abfallkorb. Er sah die ungeöffnete Packung Feigenkekse neben Fiona, nahm sie vorsichtig weg und legte sie ebenfalls in den Abfallkorb, wo er sie mit dem Zellophan zudeckte, in der Hoffnung, daß sie sie später nicht finden würde.
    Er kauerte vor Fiona nieder. Als sie den Kopf hob, konnte er selbst im dämmrigen Licht den Schweiß in ihrem Gesicht erkennen.
    »Fang jetzt nicht wieder an, dir das anzutun«, sagte er.
    »Morgen ist er wieder zu Hause. Das verspreche ich dir.«
    Ihre Augen waren stumpf. Sie griff mit einer lethargischen Bewegung nach der Kekspackung und fand sie nicht. »Ich möchte es wissen«, sagte sie. »Ich möchte alles wissen. Jetzt gleich.«
    Er war gegangen, ohne ihr irgend etwas zu sagen. Ihre angstvollen Schreie: »Was geht eigentlich vor, wo ist er, was tust du, wohin willst du?« hatte er unbeantwortet gelassen. Sie müsse sich zusammennehmen, hatte er ihr im Hinauslaufen zugerufen, sie müsse sich beruhigen, er müsse noch einmal in die Redaktion, um die Story in Druck zu geben, die Leo wieder zurückbringen würde. »Welche Story?« hatte sie gefragt. »Was ist denn nur los? Wo ist Leo? Was hat Leo mit einer Story zu tun?« Und sie hatte sich an ihn geklammert, damit er bei ihr bliebe. Doch er hatte sich mit Gewalt losgerissen und sie allein zurückgelassen. In einem Taxi war er nach Holborn zurückgerast, hatte die Polizei verflucht, die ihm seinen Porsche genommen hatte, mit dem er viel schneller am Ziel gewesen wäre als mit dem schwerfälligen Austin und seinem kettenrauchenden Fahrer.
    Er ließ sich auf dem Boden nieder und überlegte verzweifelt, wie er ihr alles erklären sollte, was in den letzten sechs Tagen geschehen war, wie er ihr von den Ereignissen vor nahezu elf Jahren erzählen sollte, die den Vorspann zu diesen letzten sechs Tagen bildeten. Er hätte, dachte er, die Story, die er für die Source geschrieben hatte, mit nach Hause nehmen und ihr zu lesen geben sollen. Das wäre einfacher gewesen, als jetzt fruchtlos nach einem Anfang zu suchen, der die niederschmetternde Wirkung dessen, was er ihr über die Lüge zu sagen hatte, die er mehr als zehn Jahre lang gelebt hatte, abschwächen würde.
    »Fiona«, sagte er, »ich habe vor elf Jahren bei einer politischen Tagung eine Frau geschwängert. Das Kind - ein Mädchen namens Charlotte Bowen - ist am letzten Mittwoch entführt worden. Der Entführer hat von mir verlangt, ich solle mich zu der Vaterschaft bekennen und das Bekenntnis auf der ersten Seite unserer Zeitung veröffentlichen. Ich habe es nicht getan. Am Sonntagabend wurde sie tot aufgefunden. Derselbe Mann - wer immer es war, der Charlotte entführt hat - hat jetzt Leo in seiner Gewalt. Er verlangt, die Story in der Zeitung zu sehen. Morgen kommt sie heraus.«
    Sie öffnete den Mund, als wolle sie sprechen, aber sie sagte nichts. Dann schloß sie langsam die Augen und wandte sich ab.
    »Fi«, sagte er beschwörend, »es ist einfach passiert zwischen dieser Frau und mir. Es war keine Liebe, es hatte überhaupt keine Bedeutung, aber es hat gefunkt zwischen uns, und wir haben dem nachgegeben.« »Bitte«, sagte sie.
    »Du und ich, wir waren damals noch nicht verheiratet«, fuhr er fort, um das ganz klarzustellen. »Wir haben uns zwar gekannt, aber es war noch nichts Ernstes. Du hast damals gesagt, du wärst noch nicht soweit. Weißt du noch?«
    Sie hob eine Hand und ballte sie zwischen ihren Brüsten zur Faust.
    »Es war reiner Sex, Fiona. Mehr war nicht zwischen uns. Es war nur Sex. Eine körperliche Geschichte ohne Seele und ohne Zuneigung. Es ist passiert, und dann haben wir es beide vergessen.« Er redete zuviel, aber er konnte einfach nicht aufhören. Er mußte die rechten Worte finden, Worte, die sie zwingen würden, ihm zu antworten und

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