08 - Im Angesicht des Feindes
Gespräch mit seiner Mutter. Er hörte sich alles an. Zuerst wurde sein Gesicht zornig, dann, irgendwann in der Mitte ihres Berichts, sagte er erbittert: »Verdammt noch mal«, und am Ende stand er nur noch schweigend da. Als er nach einer halben Minute immer noch kein Wort herausgebracht hatte, bemerkte sie abschließend: »Ich glaube deshalb, es ist das beste, wenn ich nach dem Essen meine Sachen packe und verschwinde. Wenn Ihre Mutter und Ihre Freundin -«
»Sie ist nicht meine -«, unterbrach er sie schnell, hielt aber inne, ohne den Satz zu vollenden. »Barbara«, sagte er, »können wir nicht unten weitersprechen?«
»Es gibt nichts mehr zu sagen. Kommen Sie, räumen wir hier auf, und dann pack' ich meine Sachen. Ich esse noch mit Ihnen, aber dann muß ich hier verschwinden. Anders geht's nicht.« Sie bückte sich, um sich wieder an die Arbeit zu machen. Sie begann die Karten und die Geldscheine eines Monopoly-Spiels einzusammeln, die mit den Spielsteinen eines uralten Leiterspiels durcheinandergeraten waren.
Wieder nahm er sie beim Arm, um sie zum Aufhören zu zwingen. Diesmal packte er ziemlich fest zu. »Barbara«, sagte er. »Sehen Sie mich an.« Seine Stimme war - wie der Zugriff seiner Hand - ganz verändert, so als hätte plötzlich ein Mann die Stelle des Jungen eingenommen. Ihr Herz begann ganz seltsam zu klopfen. Aber sie tat, was er gesagt hatte. Er half ihr wieder auf. »Sie sehen sich selbst nicht so, wie andere Sie sehen«, sagte er. »Das hab' ich von Anfang an gemerkt. Ich vermute, Sie sehen sich überhaupt nicht als Frau, als eine Frau, meine ich, für die ein Mann sich interessieren könnte.«
Ach, das hat gerade noch gefehlt, dachte sie und entgegnete:
»Ich denke, ich weiß ziemlich gut, wer und was ich bin.«
»Nein, das glaube ich nicht. Wenn Sie wirklich wüßten, wer Sie sind, was für eine Frau Sie sind, hätten Sie mir das, was meine Mutter und Celia über uns denken, nicht so erzählt, wie Sie's getan haben.«
»Ich habe Ihnen schlicht und einfach die Fakten berichtet.«
Ihre Stimme war ruhig, sogar unbefangen, fand sie. Aber sie war sich seiner Nähe überaus bewußt.
»Sie haben mir nicht nur die Fakten berichtet. Sie haben mir erzählt, daß Sie es nicht glauben.«
»Daß ich was nicht glaube?«
»Daß das, was Celia und meine Mutter gesehen haben, stimmt. Daß ich etwas für Sie empfinde.«
»Ich empfinde auch etwas für Sie. Wir arbeiten zusammen. Und wenn man mit jemandem zusammenarbeitet, entwickelt sich oft eine Kameradschaft, die vielleicht -«
»Das, was ich fühle, geht über Kameradschaft hinaus. Sagen Sie jetzt nicht, daß Sie das nicht gemerkt haben. Das glaub' ich Ihnen nämlich nicht. Zwischen uns ist ein Funke da, und das wissen Sie auch.«
Barbara wußte nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie konnte nicht leugnen, daß tatsächlich von Anfang an ein kleiner Funken zwischen ihnen dagewesen war. Aber die Vorstellung, daß sich daraus etwas entwickeln könnte, war so unwahrscheinlich gewesen, daß sie das Fünkchen zuerst ignoriert und später so gut wie möglich gelöscht hatte. Das sei das einzig Vernünftige, hatte sie sich gesagt. Sie waren Kollegen, und unter Kollegen war es besser, Abstand zu halten. Und selbst wenn sie keine Kollegen gewesen wären - sie war nicht so naiv, daß sie auch nur eine Sekunde lang vergessen hätte, wie abschreckend vieles an ihr wirkte: vor allem ihr Gesicht, ihre Figur, ihre Art, sich zu kleiden, ihr brüskes Verhalten und ihre kratzbürstige Umgangsart. Wo gab es den Mann, der das alles durchschauen und sie als die erkennen würde, die sie wirklich war?
Er schien ihre Gedanken zu lesen. »Das, was bei einem Menschen zählt, ist sein Inneres, nicht sein Äußeres«, sagte er.
»Sie sehen sich an und sehen eine Frau, die einem Mann niemals gefallen würde. Richtig?«
Sie schluckte. Er stand immer noch dicht neben ihr. Er erwartete eine Antwort, und früher oder später würde sie ihm eine geben müssen. Oder sie würde in ihr Zimmer laufen und die Tür zuschlagen müssen. Also los, red schon, befahl sie sich. Antworte ihm. Denn wenn du's nicht tust ... er rückt dir ja immer näher ... wenn du nichts sagst, glaubt er womöglich ...
Hastig begann sie zu sprechen. »Es ist so lange her. Ich war schon lange nicht mehr mit einem Mann ... ich meine ... ach, Mensch, ich kann so was nicht ... Wollen Sie nicht Celia anrufen?«
»Nein«, antwortete er. »Ich will Celia nicht anrufen.« Er überbrückte den winzigen Abstand
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