08 - Im Angesicht des Feindes
daß eine Möglichkeit bestand, daß er die Wahrheit auf eine Weise interpretieren würde, die ihr helfen würde. »Ich habe Angst vor dir.«
Sie sah das Mißtrauen in seinen Augen aufflackern. Sie hielt ihren Blick ruhig und vertrauensvoll auf ihn gerichtet.
»Es tut mir leid«, fuhr sie fort. »Ich wollte es dir vorher schon sagen. Ich war schon so lange nicht mehr mit einem Mann zusammen. Ich weiß gar nicht mehr, wie das geht.«
Das Mißtrauen in seinen Augen erlosch. Er drängte sich wieder an sie. »Das kommt alles ganz von selbst wieder«, murmelte er. »Ich versprech's dir.«
Sie durchlitt einen weiteren Kuß. Sie gab ein, wie sie hoffte, angemessenes Geräusch von sich. Als Antwort nahm er ihre Hand und führte sie zu seinem Geschlecht. Er krümmte ihre Finger darum. Er drückte sie zusammen. Er stöhnte.
Das gab ihr den Vorwand, sich von ihm loszureißen. Sie achtete sorgsam darauf, ihrer Stimme einen Klang von Atemlosigkeit, Verwirrung und Bestürzung zu verleihen. »Das geht mir zu schnell, Robin, wirklich. Du bist ein attraktiver Mann. Du bist echt sexy. Aber ich bin einfach noch nicht soweit ... Ich meine, ich brauche ein bißchen Zeit.« Sie raufte sich mit beiden Händen heftig die Haare. Sie lachte ein wenig und hoffte, es klänge bedauernd. »Ich kann einfach nicht. Können wir uns nicht ein bißchen Zeit lassen? Willst du mir nicht die Chance geben -«
»Aber du fährst doch morgen«, sagte er.
»Ich fahre ... « Am Rande des Abgrunds fing sie sich gerade noch. »Aber doch nur nach London. Wie lange braucht man schon nach London? Ganze hundertdreißig Kilometer. Das schafft man doch mit links, wenn man's nur eilig genug hat hinzukommen.« Sie bot ihm ein Lächeln dar und ärgerte sich, daß sie in ihrem Leben so wenig Zeit darauf verwendet hatte, sich im Süßholzraspeln zu üben. »Na, wie ist es? Willst du? Nach London kommen, meine ich?«
Er strich mit einem Finger über ihren Nasenrücken und dann über ihre Lippen. Sie blieb reglos und unterdrückte den Impuls, ihn kräftig in den Finger zu beißen.
»Ich brauche einfach noch ein bißchen Zeit«, sagte sie wieder. »Und London ist ja wirklich nicht weit. Willst du mir nicht ein bißchen Zeit lassen?«
Ihr Minireservoir an weiblichen Tricks war absolut erschöpft. Gespannt wartete sie, was jetzt geschehen würde. Gegen einen netten kleinen deus ex machina hätte sie in diesem Moment überhaupt nichts einzuwenden gehabt. Ein hilfreicher Gott, der im feurigen Kampfwagen aus dem Himmel herabschoß, wäre genau das richtige gewesen. Doch sie war in Robin Paynes Händen. Sie hatte gesagt, nicht jetzt, nicht hier, noch nicht. Der nächste Schritt war allein seine Sache.
Er drückte seinen Mund auf den ihren. Er schob seine Hand an ihrem Bauch hinunter. Er griff ihr so schnell zwischen die Beine, daß sie es vielleicht gar nicht wahrgenommen hätte, wenn er nicht so hart zugegriffen hätte, daß sie den heißen Druck seiner Hand noch spürte, als er sie schon wieder weggezogen hatte. »Bis London«, sagte er und lächelte. »Komm, gehen wir was essen.«
Sie stand an ihrem Schlafzimmerfenster und starrte angespannt in die Dunkelheit hinaus. An der Landstraße nach Burbage gab es keine Straßenbeleuchtung, sie mußte sich deshalb darauf verlassen, daß ihr Mond- und Sternenlicht und die Scheinwerfer eines gelegentlich vorüberkommenden Fahrzeugs zeigen würden, ob die von Lynley versprochenen Beobachter schon Posten bezogen hatten.
Irgendwie hatte sie ihr Abendessen hinuntergewürgt. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, was er außer den Lammkoteletts aufgetischt hatte. Es hatten mehrere Schüsseln auf dem Eßtisch gestanden, und sie hatte von jeder genommen und sich den Anschein gegeben zu essen. Sie hatte gekaut, sie hatte geschluckt, sie hatte ein Glas Wein getrunken, nachdem sie es, als er in die Küche gegangen war, um das Gemüse zu holen, mit seinem vertauscht halte - nur zur Vorsicht. Aber sie hatte überhaupt nichts geschmeckt. Der einzige ihrer fünf Sinne, der zu funktionieren schien, war der Gehörsinn. Und sie hatte auf alles gehorcht: auf den Klang seiner Schritte, auf den Rhythmus ihres eigenen Atems, auf das Klappern des Bestecks auf dem Porzellan, am konzentriertesten aber auf jedes kleine Geräusch von draußen. War das ein Auto? Waren das die gedämpften Schritte der Männer, die sich auf ihren Posten verteilten? War das eine Türglocke, die irgendwo läutete, wo Polizeibeamte sich Zugang zu einem Haus verschafften, von
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