08 - Im Angesicht des Feindes
nicht irgendwo einen Unfall gegeben hatte. Die Landstraße nach Amesford war zwar ein bißchen unangenehm, aber so lange konnte sie das nicht aufgehalten haben. Sie mußten längst hier sein. Wenn nicht Hillier sie aufgehalten hatte. Wenn nicht Hillier umfassende Erklärungen verlangt hatte. Wenn nicht der gottverdammte Hillier mal wieder Sand ins Getriebe geschmissen hatte ...
Sie hörte Robin Paynes Schritte im Korridor vor ihrer Tür. Wie der Blitz huschte sie zu ihrem Bett und kroch unter die Decke. Sie zwang sich so tief zu atmen, als schliefe sie wie ein Murmeltier, und lauschte gleichzeitig angestrengt, ob der Türknopf sich drehte, ihre Zimmertür sich öffnete und er auf leisen Sohlen durchs Zimmer tappte.
Statt dessen hörte sie Geräusche im Badezimmer. Er pinkelte, was das Zeug hielt. Er hörte gar nicht mehr auf. Dann rauschte die Toilettenspülung, und als das Geräusch verklang, vernahm sie ein leises Klappern, das sie erkannte. Tabletten, die in einer Flasche geschüttelt wurden.
Sie hörte die Erklärung des Pathologen so deutlich, als stünde er hier bei ihr im Zimmer. Sie wurde betäubt, ehe sie ertränkt wurde, hatte er gesagt. Sie wurde weder vor noch nach ihrem Tod in irgendeiner Weise mißhandelt. Sie war bewußtlos, als sie ins Wasser gelegt wurde.
Mit einem Ruck fuhr Barbara in die Höhe. Der Junge, dachte sie. Der Kerl wartet gar nicht auf die morgige Zeitung. Er will den Jungen noch heute nacht töten, dafür braucht er das Valium. Sie warf die Decke zur Seite und huschte lautlos zur Tür. Vorsichtig zog sie sie einen Spalt auf.
Robin kam aus dem Badezimmer. Er ging zum Zimmer seiner Mutter und öffnete die Tür. Er wartete einen Moment reglos, schien zufrieden, machte die Tür wieder zu. Dann wandte er sich in Barbaras Richtung. Sie drückte ihre Tür zu. Es gab keinen Schlüssel und keinen Riegel. Und es war auch keine Zeit mehr, zum Bett zurückzulaufen. Den Kopf gegen die Türfüllung gedrückt, blieb sie stehen. Geh weiter, betete sie, geh weiter, geh weiter. Sie konnte seinen Atem auf der anderen Seite hören. Er klopfte leise. Sie tat nichts. Er flüsterte: »Barbara? Schläfst du? Kann ich reinkommen?« Und er klopfte noch einmal. Sie preßte die Lippen zusammen und hielt den Atem an. Einen Augenblick später hörte sie ihn auf der Treppe.
Er lebte in diesem Haus. Er wußte daher, daß man die Tür nicht absperren konnte. Er hatte also gar nicht zu ihr hineingewollt. Hätte er es gewollt, so hätte er nur einzutreten brauchen. Aber er hatte sich nur vergewissern wollen, daß sie fest schlief.
Ganz vorsichtig zog sie die Tür wieder auf. Sie konnte ihn unten hören. Er war in die Küche gegangen. Sie schlich die Treppe hinunter.
Er hatte die Küchentür hinter sich zugezogen, aber nicht ganz geschlossen. Barbara öffnete sie einen winzigen Spaltbreit. Sie konnte mehr hören als sehen, wie eine Schranktür geöffnet wurde, ein elektrischer Dosenöffner brummte, Metall klirrend an Kacheln schlug.
Dann trat er, eine große Thermosflasche in der Hand, direkt in ihr Blickfeld. Er kramte in einem Küchenschrank und holte ein kleines Holzbrett heraus. Auf das Brettchen legte er vier blaue Tabletten, die er mit der Rückseite eines Löffels zu Pulver zerdrückte. Das Pulver fegte er vom Brettchen in die Thermosflasche.
Dann ging er zum Herd, auf dem er etwas aufwärmte. Er rührte um. Sie hörte ihn leise vor sich hin pfeifen. Er trug einen Topf zu der Thermosflasche und goß eine dampfende Flüssigkeit in die Flasche, dem Geruch nach war es Tomatensuppe. Nachdem er die Thermosflasche zugeschraubt hatte, räumte er gewissenhaft auf und beseitigte alle Spuren seines nächtlichen Treibens. Noch einmal sah er sich prüfend in der Küche um, klopfte auf seine Taschen, zog seine Autoschlüssel heraus. Dann trat er in die Nacht hinaus und machte das Licht hinter sich aus.
Barbara stürzte zur Treppe. Sie raste in Riesensätzen hinauf und rannte zu ihrem Fenster. Sein Escort rollte geräuschlos - mit ausgeschalteten Scheinwerfern - die Einfahrt hinunter zur Straße. Aber sie würden ihn sehen, sobald er die Straße erreichte. Und dann würden sie ihm folgen.
Sie schaute erst nach rechts, dann nach links. Sie wartete. Sie beobachtete. Der Escort hatte die Straße erreicht. Robin Payne ließ den Motor an. Er schaltete die Scheinwerfer ein und fuhr nach Westen, in Richtung des Dorfes. Aber niemand folgte ihm. Fünf Sekunden vergingen. Dann zehn. Dann fünfzehn. Nichts.
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