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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Ton zu bemühen, als er hinzufügte: »Liebes, ich kann es verstehen, wenn du heute abend lieber ...« Er atmete tief ein, ließ die Luft entweichen, sagte: »Ach, zum Teufel« und stieß hervor: »Helen, möchtest du heute nacht lieber allein sein?«
    Sie blieb still auf ihrem Platz auf dem Sofa sitzen und betrachtete ihn. Sie fühlte, wie sie auf hundert Arten innerlich weich wurde, und während ihre Natur sie drängte, etwas dagegen zu unternehmen, unterrichtete ihr Herz sie, daß sie es nicht konnte. Sie hatte jenen Vorzügen Tommys, die ihn in den Augen anderer zur blendenden Partie machten, lange widerstanden. Sein gutes Aussehen beeindruckte sie nicht. Sein Reichtum interessierte sie nicht. Sein leidenschaftliches Naturell war manchmal strapaziös. Seine Glut war schmeichelhaft, aber sie hatte ihn in der Vergangenheit genug andere Frauen mit derselben Glut umwerben sehen, um ihre Beständigkeit in Zweifel zu ziehen. Und seine Intelligenz war gewiß erfrischend, aber sie hätte andere Männer haben können, die genauso klug und geistreich waren wie Tommy. Doch dies ... Helen besaß nicht die Waffen, um dagegen anzukämpfen. In einer Welt, in der man um jeden Preis Haltung bewahrte, war sie wie Wachs in den Händen eines Mannes, der seine Verletzlichkeit zeigte.
    Sie stand auf. Sie ging zu ihm und kniete neben seinem Sessel nieder. Sie sah ihm ins Gesicht. »Allein«, sagte sie leise, »möchte ich zuallerletzt sein.«

    Diesmal weckte sie Lichtschein. Er stach ihr so grell in die Augen, daß sie glaubte, es sei der Glanz der gnadenvollen Heiligen Dreifaltigkeit. Sie erinnerte sich, wie Schwester Agnetis ihnen im Religionsunterricht in St. Bernadette die Dreifaltigkeit erklärt hatte. Sie hatte ein Dreieck gezeichnet, an die eine Ecke »Vater«, an die andere »Sohn« und an die dritte »Heiliger Geist« geschrieben und dann mit goldgelber Kreide lange Sonnenstrahlen gemalt, die von allen Seiten des Dreiecks ausgingen. Nur sollten es keine Sonnenstrahlen sein, wie Schwester Agnetis erklärte, sondern das Licht der Gnade. Man mußte sich im Zustand der Gnade befinden, um in den Himmel zu kommen.
    Zwinkernd starrte Lottie in den weißen Glanz. Es mußte die Heilige Dreifaltigkeit sein, entschied sie, denn das Licht schwebte in der Luft wie Gott. Und aus ihm drang eine Stimme durch die Dunkelheit, die wie die Stimme Gottes war, als er aus dem brennenden Busch zu Moses gesprochen hatte.
    »Hier hast du was. Iß.«
    Der Lichterglanz senkte sich. Eine Hand streckte sich Lottie entgegen. Eine Blechschale landete scheppernd neben ihrem Kopf auf dem Boden. Dann stieg das Licht selbst zu ihr herab. Es zischte - wie die Luft, die einem durchlöcherten Gummireifen entweicht. Das Licht traf klirrend den Boden. Sie schreckte vor seinem Feuer zurück, weit genug, um zu erkennen, daß es einen Hut trug und in einem Gehäuse brannte. Nur eine Laterne. Nicht die Heilige Dreifaltigkeit. Das mußte bedeuten, daß sie doch noch nicht tot war.
    Eine Gestalt trat in den Lichtschein. Sie war schwarz gekleidet und von Lotties Blickwinkel aus in die Länge gezogen wie durch einen Zerrspiegel. Mit trockenem Mund sagte Lottie:
    »Wo ist meine Brille? Ich hab' meine Brille nicht. Ich brauch' sie. Ich kann ohne sie nicht richtig sehen.«
    »Im Dunkeln brauchst du sie nicht«, sagte er.
    »Ich bin aber nicht im Dunkeln. Sie haben ein Licht gebracht. Geben Sie mir meine Brille. Wenn Sie sie mir nicht geben, verrat' ich alles.«
    »Du bekommst deine Brille schon noch.« Ein Klappern, als er etwas auf den Boden stellte. Hoch und gerundet. Rot. Eine Thermosflasche, dachte Lottie. Er schraubte sie auf und goß Flüssigkeit in die Schale. Wohlriechend. Heiß. Lottie knurrte der Magen.
    »Wo ist meine Mama?« fragte sie. »Sie haben gesagt, daß sie in einem Gästehaus ist. Sie haben gesagt, Sie bringen mich zu ihr. Sie haben's versprochen. Aber das hier ist kein Gästehaus. Wo ist sie? Ich möchte wissen, wo sie ist.«
    »Sei still«, sagte er.
    »Ich schreie, wenn ich will. Mama! Mama! Mama!« Sie wollte aufstehen.
    Eine Hand schoß vor und legte sich fest auf ihren Mund. Finger gruben sich wie Tigerklauen in ihre Wangen. Sie wurde zu Boden gerissen und fiel auf die Knie. Eine scharfe Kante wie von einem Stein schnitt ihr ins Fleisch.
    »Mama!« schrie sie, als er sie losließ. »Ma -«
    Die Hand stieß ihren Kopf in die Suppe. Die Suppe war heiß. Sie brannte. Lottie drückte ihre Augen zu. Sie hustete. Sie strampelte mit den Beinen. Mit den

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