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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Händen riß sie an seinen Armen.
    »Willst du jetzt still sein, Lottie?« sagte er dicht an ihrem Ohr.
    Sie nickte. Er zog sie hoch. Suppe tropfte von ihrem Gesicht auf ihre Schuluniform hinunter. Wieder hustete sie. Sie wischte sich ihr Gesicht am Ärmel ihrer Strickjacke ab.
    Es war kalt in dem Raum, in den er sie gebracht hatte, wo immer das auch sein mochte. Von irgendwo blies Wind herein. Als sie versuchte, sich umzusehen, konnte sie jenseits des Lichts, das die Laterne spendete, nichts erkennen. Selbst von ihm konnte sie nur einen Stiefel sehen, ein gebeugtes Knie und seine Hände. Sie schreckte vor ihnen zurück, als sie nach der Thermosflasche griffen. Er schenkte noch etwas Suppe in die Schale.
    »Hier hört dich keiner, wenn du schreist«, sagte er.
    »Warum darf ich dann nicht schreien?«
    »Weil ich den Lärm von kleinen Mädchen nicht mag.« Mit der Zehenspitze schob er ihr die Schale zu.
    »Ich muß aufs Klo.«
    »Gleich. Iß erst.«
    »Ist es Gift?«
    »Richtig. Tot nützt du mir ungefähr so viel wie ein Loch im Kopf. Iß jetzt.«
    Sie sah sich um. »Ich hab' keinen Löffel.«
    »Eben hast du doch auch keinen Löffel gebraucht, oder? Also, los, iß das jetzt.«
    Er trat aus dem Licht. Lottie hörte ein Geräusch und sah ein Streichholz aufflammen. Er hielt den Kopf über seine Flamme gebeugt, und als er sich ihr wieder zuwandte, sah sie die Glut einer Zigarette.
    »Wo ist meine Mama?« fragte sie und hob die Blechschale in die Höhe. Es war Gemüsesuppe, wie Mrs. Maguire sie oft machte. Sie war so hungrig wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Gierig trank sie die Suppe und schob sich das Gemüse mit den Fingern in den Mund. »Wo ist meine Mama?« fragte sie wieder.
    »Iß!«
    Sie ließ ihn nicht aus den Augen, als sie die Schale wieder zum Mund führte. Er war nur ein Schatten, und ohne ihre Brille sah sie ihn nur verschwommen.
    »Was glotzt du so? Schau woandershin.«
    Sie senkte die Augen. Es hatte sowieso keinen Sinn zu versuchen, ihn anzusehen. Sie konnte nicht mehr als seine Umrisse erkennen. Einen Kopf, Schultern, zwei Arme, zwei Beine. Er achtete darauf, nur ja nicht ins Licht zu treten.
    Da kam ihr zum erstenmal der Gedanke, daß sie entführt worden war. Sie erschrak so heftig, daß sie etwas von der Gemüsesuppe vergoß. Sie rann über ihre Hand und tropfte auf den Rock ihres Trägerkleids. Was passierte mit Leuten, die entführt wurden? fragte sie sich. Sie versuchte, sich zu erinnern. Da ging es doch immer um Geld, oder? Man wurde irgendwo versteckt, bis jemand was bezahlte. Nur, Mama hatte nicht viel Geld. Aber Cito hatte Geld.
    »Wollen Sie Geld von meinem Vater?« fragte sie.
    Er schnaubte. »Was ich von deinem Vater will, hat mit Geld nichts zu tun.«
    »Aber Sie haben mich doch entführt, stimmt's? Ich glaub' nämlich nicht, daß das hier ein Gästehaus ist, und ich glaub' auch nicht, daß Mama hier ist. Und wenn hier kein Gästehaus ist und Mama nicht hier ist, dann haben Sie mich mitgenommen, weil Sie Geld haben wollen. Stimmt's? Warum hätten Sie mich sonst ...«
    Eine Geschichte fiel ihr ein, die Schwester Agnetis erzählt hatte. Vorn im Klassenzimmer auf und ab humpelnd, hatte sie von der heiligen Maria Goretti erzählt, die gestorben war, weil sie rein bleiben wollte. War die heilige Maria Goretti auch entführt worden? Hatte die schreckliche Geschichte nicht genauso angefangen? Damit, daß jemand sie mitgenommen hatte, der ihren kostbaren Tempel des Heiligen Geistes beschmutzen wollte? Vorsichtig stellte Lottie die Suppenschale zu Boden. Ihre Hände waren klebrig von der verschütteten Suppe, und sie wischte sie an ihrem Rock ab. Sie wußte nicht so genau, was der Tempel des Heiligen Geistes war und wie er beschmutzt werden konnte, aber wenn es damit zu tun hatte, daß man Gemüsesuppe trank, die einem von einem Fremden gegeben wurde, dann mußte sie sich weigern, sie zu trinken.
    »Ich hab' genug«, sagte sie und fügte höflich hinzu: »Vielen Dank.«
    »Iß auf.«
    »Ich mag aber nichts mehr.«
    »Ich hab' gesagt, du sollst aufessen. Hast du verstanden?« Er trat näher und goß die restliche Suppe aus der Thermosflasche in die Schale. Kleine gelbe Fettaugen schwammen auf der Suppe. Sie trieben aufeinander zu und bildeten einen Ring, der aussah wie die Halskette einer Fee. »Oder muß ich dir dabei helfen?«
    Lottie gefiel sein Ton nicht. Sie wußte, was er meinte. Er würde ihr wieder das Gesicht in die Suppe stoßen und so lange hineindrücken, bis sie entweder aß oder

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