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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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ertrank. Gott würde ihr doch sicher vergeben, wenn sie die Suppe aufaß.
    Als sie fertig war, stellte sie die Schale auf den Boden. »Ich muß aufs Klo«, sagte sie wieder.
    Er schob scheppernd etwas ins Licht. Einen Topf, einen tiefen Topf mit Gänseblümchen darauf und einem gerundeten Rand, der an das Maul eines Tintenfisches erinnerte. Sie starrte ihn verständnislos an. »Ich will keine Suppe mehr«, sagte sie. »Ich hab' doch schon aufgegessen. Ich muß aufs Klo.«
    »Dann geh«, versetzte er. »Weißt du nicht, was das ist?«
    Sie begriff, daß er meinte, sie solle den Topf benützen, und das vor seinen Augen. Er erwartete, daß sie ihre Unterhose herunterziehen und pinkeln würde, während er dabeistand und alles sah und hörte. Wie Mrs. Maguire, wenn sie zu Hause vor der Toilettentür stand und rief: »Hast du heute morgen schon ein großes Geschäft gemacht, Kindchen?«
    »Ich kann nicht«, sagte sie. »Nicht vor Ihnen.«
    Er sagte: »Dann eben nicht« und zog den Topf weg. Blitzschnell nahm er die Thermoskanne, die Suppenschale und die Laterne. Das Licht erlosch. Charlotte hörte direkt neben sich etwas zu Boden fallen. Sie schrie und fuhr zurück. Ein kalter Luftzug strich über sie hin wie eine Geisterschar, die aus dem Friedhof kam, eine Tür fiel zu, ein Schloß knirschte, und sie wußte, daß sie wieder allein war.
    Sie tastete mit der Hand auf dem Boden, um zu sehen, was er ihr zugeworfen hatte. Es war eine Decke. Sie roch muffig und fühlte sich rauh an, aber Lottie nahm sie und drückte sie an sich und versuchte, nicht daran zu denken, was es über die Dauer ihres Aufenthalts hier aussagte, daß er ihr eine Decke gebracht hatte.
    »Aber ich muß doch aufs Klo«, wimmerte sie leise vor sich ihn. Ein dicker Kloß drückte ihr die Kehle zu, und die Brust wurde ihr eng. Nein, nein, dachte sie. Nicht weinen, nicht weinen. »Ich muß aufs Klo.«
    Sie ließ sich zu Boden sinken. Ihre Lippen zitterten, und ihre Augen waren voller Tränen. Sie drückte eine Hand auf ihren Mund und kniff fest die Augen zu. Sie schluckte mehrmals, damit der Kloß wieder in ihren Magen zurückrutschte.
    Denk an was Schönes, würde ihre Mutter sagen.
    Also dachte sie an Breta. Sie sagte sogar ihren Namen. Ganz leise. »Breta. Meine allerbeste Freundin. Breta.«
    Das war das Schönste, was sie sich denken konnte. Mit Breta zusammenzusein. Geschichten zu erzählen. Streiche machen.
    Sie überlegte, was Breta tun würde, wenn sie hier drinnen eingesperrt wäre. Was würde Breta hier im Dunkeln tun?
    Zuerst würde sie pinkeln, dachte Lottie. Breta würde einfach pinkeln. Sie würde sagen: »Sie haben mich in dieses dunkle Loch gesperrt, Mister, aber Sie können mich zu gar nichts zwingen. Drum pinkel' ich jetzt erst mal. Nicht in irgendeinen blöden Topf, sondern direkt auf den Boden.«
    Der Boden. Sie hätte merken müssen, daß sie nicht in einem Sarg lag. Der Boden war ja hart und holprig wie Steine. Nur ...
    Lottie tastete den Boden ab, über den er sie geschleift, an dem sie sich das Knie angeschlagen hatte. Breta hätte das natürlich als allererstes getan, wenn sie in der Dunkelheit aufgewacht wäre. Breta hätte versucht herauszubekommen, wo sie war. Sie hätte bestimmt nicht einfach rumgelegen und vor sich hin gejammert wie ein kleines Kind.
    Lottie schniefte und ließ ihre Finger suchend über den Boden gleiten. Er war voller Furchen. An einer von ihnen mußte sie sich das Knie aufgerissen haben. Sie zog eine Furche mit dem Finger nach und stellte fest, daß sie ein Rechteck bildete. Daneben war wieder ein Rechteck. Dann wieder eins.
    »Ziegelsteine«, flüsterte sie. Breta wäre stolz auf sie gewesen.
    Ein Boden aus Ziegelsteinen, dachte Lottie und überlegte, was ihr das über den Raum sagen konnte, in dem sie sich befand. Sie machte sich klar, daß sie sich verletzen konnte, wenn sie hier im Dunkeln herumtappte. Sie konnte stolpern. Sie konnte fallen. Sie konnte kopfüber in einen Schacht stürzen. Sie konnte - Ein Schacht im Dunkeln? hätte Breta gefragt. Das glaube ich nicht, Lottie.
    Auf allen vieren kroch Lottie vorsichtig tastend weiter über den unebenen Boden, bis ihre Finger schließlich auf Holz stießen. Das Holz war rauh und splittrig, an manchen Stellen von kleinen kühlen Nagelköpfen durchsetzt. Sie ertastete Kanten und Ecken, gerade Seiten. Eine Kiste, sagte sie sich. Mehr als eine. Eine ganze Reihe Kisten, an der sie entlangkroch.
    Sie berührte eine andere Art Oberfläche, ein rundes Ding aus einem

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