08 - Im Angesicht des Feindes
sind der Herr, der Charlie sucht?«
St. James bejahte. Die Haushälterin trat rasch zurück. Sie führte ihn ins Wohnzimmer, wo aus Lautsprechern gedämpft ein düsteres Sanctus erklang. Auf einem kleinen Tisch neben dem Kassettenrecorder war ein provisorischer Altar aufgebaut. Zwei Kerzen brannten flackernd zu beiden Seiten eines Kruzifixes, und das Arrangement war flankiert von einer Marienfigur mit segnend ausgestreckten Händen, die etwas angeschlagen waren, und einem bärtigen Heiligen in Grün und Safrangelb. Beim Anblick des Altars drehte St. James sich um und sah, daß Mrs. Maguire einen Rosenkranz in der rechten Hand hielt.
»Ich bete heute den Rosenkranz mit allen Geheimnissen«, erklärte Mrs. Maguire rätselhaft mit einer Kopfbewegung zu ihrem Altar. »Den freuden-, den schmerzen- und den glorreichen Rosenkranz, alle drei. Und ich erhebe mich nicht eher von meinen Knien, als bis ich mein Teil dazu getan habe, daß Charlie gesund wieder nach Hause kommt. Ich bete zum heiligen Judas und der Muttergottes. Sie werden Charlie beschützen.«
Sie schien sich nicht bewußt zu sein, daß sie eben nicht auf den Knien lag, von denen sie sich erklärtermaßen nicht hatte erheben wollen. Sie ging zum Kassettenrecorder und drückte auf einen Knopf. Der Gesang brach ab. »Wenn ich nicht in der Kirche sein kann, mache ich mir eben meine eigene. Der Herr wird es schon verstehen.« Sie küßte das Kreuz an ihrem Rosenkranz und legte die Gebetsschnur liebevoll zu Füßen des heiligen Judas ab. Sie nahm sich einen Moment Zeit, um die Perlen so zu arrangieren, daß sie einander nicht berührten, und das Kreuz richtig herum hinzulegen.
»Sie ist nicht hier«, sagte sie zu St. James.
»Mrs. Bowen ist nicht zu Hause?«
»Nein. Und Mr. Stone auch nicht.«
»Sind sie unterwegs, um Charlotte zu suchen?«
Mrs. Maguire legte ihre kurzen dicken Finger wieder auf das Kreuz des Rosenkranzes. Sie schien ein Dutzend möglicher Antworten zu überdenken, um die zu finden, die den besten Eindruck machen würde. Aber offensichtlich fruchteten ihre Bemühungen nichts, denn sie sagte schließlich nur: »Nein.«
»Ja, aber wo -«
»Er ist in eins von seinen Restaurants gefahren, und sie ist im Unterhaus. Er wär daheimgeblieben, aber sie will, daß alles ganz normal aussieht. Drum bin ich auch hier und nicht in der St.-Lukas-Kirche, wo ich viel lieber wär, um den Rosenkranz vor dem heiligen Sakrament zu beten.«
Sie schien St. James' Verwunderung darüber, daß man trotz Charlottes Verschwinden zur Tagesordnung übergegangen war, zu spüren und auch zu erwarten, denn sie fügte hastig hinzu: »Das ist nicht so herzlos, wie's aussieht, junger Mann. Mrs. Bowen hat mich heut nacht um Viertel nach eins noch angerufen. Ich mein', ich hab' sowieso nicht geschlafen - und sie hat's gar nicht erst versucht, Gott schütze sie -, und ich hab' bis zum Morgengrauen kein Auge zugetan. Sie hat mir erzählt, daß Sie sich um diese Sache mit Charlie kümmern und daß wir anderen - Mr. Stone und sie selbst und ich - inzwischen so ruhig bleiben und uns beschäftigen und so tun müßten, als wäre alles wie immer. So normal wie nur irgend möglich, hat sie gesagt. Für Charlie. Drum bin ich hier. Und drum ist sie, Gott sei bei ihr, wie immer in die Arbeit gefahren, als hätte sie nichts andres im Kopf, als das nächste Gesetz über die IRA durchzubringen.«
Dies weckte St. James' Interesse. »Mrs. Bowen hat mit der IRA-Gesetzgebung zu tun?«
»Von Anfang an. Kaum hat sie in ihrem Büro im Innenministerium gesessen, vor ungefähr zwei Jahren war das, als sie auch schon bis über beide Ohren drinsteckte in Antiterrorismus-dies, Antiwaffenbesitz-das und hier ein Gesetz und da ein Gesetz über die Erhöhung der Gefängnisstrafen für die IRA. Nicht, daß es keine einfachere Lösung für das Problem gäbe, als ewig im Unterhaus herumzulabern.«
Das gab St. James zu denken: IRA-Gesetzgebung. Eine Abgeordnete, der daran lag, sich zu profilieren, würde ihren politischen Standpunkt zur IRA-Frage nicht geheimhalten können, würde es wahrscheinlich gar nicht wollen. Dies - in Verbindung mit dem irischen Element, das in ihrem Leben und dem ihres Kindes eine, wenn auch noch so zweitrangige Rolle spielte - war etwas, was zu bedenken war, sollte Breta nicht in der Lage sein, ihnen die erhoffte Hilfe bei der Suche nach Charlotte zu leisten.
Mrs. Maguire wies in die Richtung, die Alex Stone am vergangenen Abend angesteuert hatte. »Wenn Sie mit mir reden wollen,
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