08 - Im Angesicht des Feindes
seiner Eltern in South Lambeth.«
»Wird er reden? Kann man von den Eltern etwas erwarten?«
»Daran arbeite ich noch.«
Luxford senkte seinen Sessel nach vorn. »Gut dann«, sagte er und fügte mit seinem dreieckigen Lächeln hinzu: »Machen Sie weiter so, Mitch.«
Corsico tippte kurz an seinen Stetson und ging zur Tür, durch die in diesem Moment Luxfords Sekretärin eintrat, eine Frau von sechzig Jahren, die mit zwei Briefstapeln zum Konferenztisch ging. Stapel eins bestand aus geöffneten Briefen und wurde links vom Chefredakteur deponiert. Stapel zwei enthielt ungeöffnete Briefe mit dem Vermerk Vertraulich oder Persönlich und wanderte auf Luxfords rechte Seite. Dann holte die Sekretärin den Brieföffner aus dem Schreibtisch ihres Chefs und legte ihn genau fünf Zentimeter von den ungeöffneten Briefen entfernt auf den Tisch. Sie brachte den Papierkorb und stellte ihn neben Luxfords Sessel. »Sonst noch etwas, Mr. Luxford?« fragte sie ehrerbietig wie jeden Abend, bevor sie ging. Ein Flötensolo, Miß Wallace, antwortete Rodney im stillen. Auf die Knie, Weib! Und stöhnen Sie gefälligst dabei. Er mußte unwillkürlich lachen bei der Vorstellung, wie Miß Wallace - wie immer in Tweedrock, Twinset und Perlenkette - zwischen Luxfords Schenkeln kniete. Um seine Erheiterung zu verbergen, senkte er hastig den Kopf und betrachtete den Überrest seiner Schokolade.
Luxford war dabei, die ungeöffneten Briefe durchzusehen.
»Rufen Sie meine Frau an, bevor Sie gehen«, sagte er zu seiner Sekretärin. »Ich werde wahrscheinlich spätestens um acht zu Hause sein.«
Miß Wallace nickte und marschierte in ihren soliden Schuhen mit den Kreppsohlen lautlos zur Tür. Zum erstenmal an diesem Tag allein mit dem Chefredakteur, rutschte Rodney vom Fensterbrett, als Luxford nach dem Brieföffner griff und sich die Korrespondenz zu seiner Rechten vornahm. Rodney hatte Luxfords Vorliebe, an ihn persönlich gerichtete Briefe eigenhändig zu öffnen, nie verstehen können. In Anbetracht der politischen Richtung der Zeitung - so weit links von der Mitte wie möglich, ohne rot oder kommunistisch genannt oder mit einem weitaus unliebenswürdigeren Etikett versehen werden zu können - konnte ein mit persönlich gekennzeichneter Brief leicht eine Bombe enthalten. Da wäre es doch klüger, ein Fingerchen oder Äuglein von Miß Wallace zu riskieren, anstatt sich selbst einem Verrückten als Zielscheibe anzubieten. Aber Luxford war natürlich nicht gewillt, es so zu sehen. Nicht, daß er sich Miß Wallaces wegen Sorgen gemacht hätte. Vielmehr pflegte er zu erklären, es sei die Aufgabe des Chefredakteurs einer Zeitung, höchstpersönlich das Ohr am Puls der Öffentlichkeit zu haben. The Source, pflegte er zu erklären, würde die begehrte Spitzenreiterposition im Kampf um die Auflagenzahlen ganz sicher nicht erreichen, wenn der Chefredakteur seine Truppen von der Etappe aus dirigierte. Kein Chefredakteur, der sein Geld wert sei, verliere je den Kontakt zu seiner Leserschaft.
Rodney beobachtete Luxford bei der Lektüre des ersten Briefes. Der prustete verächtlich, knüllte das Blatt zusammen und warf es in den Papierkorb. Er öffnete das zweite Schreiben und überflog es. Mit einem leisen Lachen sandte er es dem ersten nach. Er hatte den dritten, vierten und fünften Brief gelesen und war dabei, den sechsten zu öffnen, als er in zerstreutem Ton, der, wie Rodney wußte, beabsichtigt war, sagte:
»Ja, Rod? Haben Sie etwas auf dem Herzen?«
Was Rodney auf dem Herzen hatte, war die Wut darüber, daß man ihn um den Posten gebracht hatte, den Luxford nun innehatte: Herr der Mächtigen, ImprimaturGeber, Erster vom Dienst, Obermacker, kurz: der ehrwürdige Chefredakteur der Source. Man hatte ihm vor sechs Monaten die sauer verdiente Beförderung versagt und Luxford vorgezogen. Ihm fehlten »die erforderlichen Instinkte«, um bei der Source jene Veränderungen vorzunehmen, die das Blatt auf Erfolgskurs bringen würde, hatte der schweinsköpfige Aufsichtsratsvorsitzende ihm mit sonorer Stimme erklärt. »Was für Instinkte?« hatte er höflich gefragt. »Die Killerinstinkte«, hatte der Mann erwidert. »Luxford besitzt sie im Übermaß. Sie brauchen sich nur anzusehen, was er für den Globe getan hat.«
Gewiß, er hatte den Globe, ein Blatt, das sich nur noch müde mit Filmklatsch und schwülstigen Geschichten über die königliche Familie dahinschleppte, zur meistgelesenen Zeitung des Landes gemacht. Aber er hatte es nicht getan, indem er
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