08 - Im Angesicht des Feindes
das Niveau anhob. Dazu hatte er, wie schon gesagt, das Ohr zu dicht am Puls der Öffentlichkeit. Er hatte es getan, indem er an die niedrigen Instinkte der Leser appellierte. Und wie damals beim Globe bot er ihnen auch jetzt ein tägliches Menü aus Skandalgeschichten, von den sexuellen Eskapaden diverser Politiker bis zur Heuchelei in der anglikanischen Kirche, die er mit Berichten über die scheinbare und höchst seltene Ritterlichkeit des kleinen Mannes würzte. Das Resultat war ein echter Festschmaus für Luxfords Leser, die jeden Morgen millionenfach ihre fünfunddreißig Pence auf den Tisch legten, als wäre es der Chefredakteur der Source allein - und nicht auch sein Mitarbeiterstab, nicht auch Rodney Aronson, der genauso auf Draht war und fünf Jahre mehr Erfahrung hatte als Luxford -, der den Schlüssel zu ihrer Seligkeit in der Hand hielt. Und während der Schlaumeier sich in seinem Erfolg sonnte, plagten sich die übrigen Londoner Blätter damit ab, Schritt zu halten. Alle gemeinsam drehten sie der Regierung eine lange Nase und sagten: »Leckt uns doch mal hochachtungsvoll am Arsch«, wenn diese wieder einmal drohte, ihnen irgendwelche Kontrollen aufzuzwingen. Auf die Stimme des Volkes konnte man sich in Westminster nicht mehr stützen, solange die Presse den Premierminister jedesmal runterputzte, wenn ein konservativer Abgeordneter sein Teil dazu beitrug, die, wie sich immer deutlicher zu zeigen schien, grundlegende Heuchelei der Tories offenkundig zu machen.
Nicht, daß Rodney Aronson es als schmerzlich empfunden hätte, das Schifflein der Konservativen sinken zu sehen. Er hatte, seit er zum erstenmal zur Wahl gegangen war, stets Labour gewählt oder schlimmstenfalls die Liberalen. Den Gedanken, daß die Labour-Partei vom derzeitigen Klima politischer Unruhe profitieren könnte, fand er äußerst befriedigend. Unter anderen Umständen hätte Rodney also das tägliche Spektakel von Pressekonferenzen, empörten Telefonanrufen, Forderungen nach einer Sonderwahl und Unkenrufen über den Ausgang der in den nächsten Wochen anstehenden Kommunalwahlen genießen können. Unter den gegebenen Umständen jedoch, mit Luxford am Ruder, wo er wahrscheinlich auf unabsehbare Zeit bleiben und Rodneys eigenen Aufstieg verhindern würde, verspürte Rodney nur Wut. Er versuchte sich einzureden, sein Zorn komme nur daher, daß er der bessere Journalist sei. In Wahrheit war er eifersüchtig.
Er war seit seinem sechzehnten Lebensjahr bei der Source, hatte sich vom Laufjungen zu seiner gegenwärtigen Stellung als stellvertretender Chefredakteur dank reiner Willenskraft, Charakterstärke und Begabung hochgearbeitet. Die Spitzenposition stand ihm zu, und alle wußten es. Auch Luxford. Genau das war der Grund, weshalb ihn der Chefredakteur jetzt so scharf beobachtete und ihm, Fuchs, der er war, die Gedanken vom Gesicht ablas, während er auf eine Antwort wartete. Ihnen fehlt der Killerinstinkt, hatte man ihm gesagt. Ja. Gut. Sie würden die Wahrheit noch bald genug erkennen.
»Haben Sie noch was auf dem Herzen, Rod?« wiederholte Luxford, ehe er wieder auf seinen Briefstapel hinuntersah.
Ja, deinen Job, dachte Rodney. Doch er sagte: »Diese Strichergeschichte - ich denke, es wäre besser, da eine Pause einzulegen.«
»Warum?«
»Sie wird schal. Wir bringen die Sache seit Freitag als Aufmacher. Gestern und heute war es nicht mehr als Aufgewärmtes von Sonntag und Montag. Ich weiß, daß Mitch Corsico neuen Entwicklungen auf der Fährte ist, aber solange er die nicht hat, sollten wir eine Kampfpause einlegen, finde ich.«
Luxford legte Brief Nummer sechs auf die Seite und strich die überlangen Koteletten, die seine persönliche Note waren; eine Geste, die, wie Rodney wußte, ausdrücken sollte: »Chef denkt über die Meinung eines Untergebenen nach«. Dann nahm er Brief Nummer sieben und schob den Brieföffner unter die Klappe des Kuverts. In dieser Pose verharrte er, während er antwortete.
»Die Regierung hat sich selbst in diese Situation gebracht.
Der Premierminister hat uns seine ›Rückbesinnung auf britische Grundwerte‹ als Teil des Parteiprogramms beschert, richtig? Das ist gerade mal zwei Jahre her. Wir fühlen den Tories nur auf den Zahn, um herauszufinden, was diese Rückbesinnung auf britische Grundwerte ihnen wirklich bedeutet. Die einfachen Leute glauben alle, damit sei eine Rückkehr zu menschlicher Anständigkeit und dem Abspielen der Nationalhymne nach dem Kino gemeint. Unsere Herren und Damen
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