Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
sie würde entgegenkommenderweise tatsächlich zur U-Bahn gehen. Doch als er hinter ihr herlief und in die Hans Crescent abbog, sah er sie auf einen schwarzen Rover zusteuern, dem ein dunkel gekleideter Chauffeur entstieg. Sie drehte kurz den Kopf in Rodneys Richtung, als sie hinten in den Wagen stieg, und wieder sah er einen Moment ihr Gesicht.
    Er prägte es sich ein: das glatte Haar, das es umrahmte, die Schildpattbrille, die volle Unterlippe, das spitze Kinn. Ihre Kleidung, ihr Aktenkoffer, ihre Haltung, ihr zielstrebiger Schritt - alles verriet die Frau von Einfluß und Macht. Nie im Leben hätte er es Luxford, diesem Bastard, zugetraut, daß er sich so ein Kaliber für einen leckeren kleinen Seitensprung aussuchen würde. Aber andererseits verschaffte es ihm sicher eine primitive Befriedigung, eine solche Frau auf die Matratze zu werfen. Rodney fuhr auf die dominanten Typen ja nicht ab. Aber Luxford - selbst ein dominanter Typ - fand die Herausforderung, sie zuerst anzuheizen, dann zu verführen und schließlich zu unterwerfen, wahrscheinlich höchst anregend. Wer also war diese Frau?
    Er beobachtete, wie ihr Wagen sich in den Verkehrsstrom des späten Nachmittags einreihte und direkt auf ihn zukam. Während er an ihm vorbeifuhr, glitt sein Blick von der Insassin zum Chauffeur des Wagens und erfaßte im selben Moment das Nummernschild und die letzten drei Buchstaben des Kennzeichens. Bei diesem Anblick riß er die Augen auf. Die Buchstaben waren Teil einer Serie, und das hieß, daß der Rover zu einem ganzen Wagenpark gehörte. Und er hatte sich als Reporter lang genug in Westminster herumgetrieben, um genau zu wissen, wem dieser Wagenpark diente. Seine Mundwinkel hoben sich glücklich. Er lachte leise vor sich hin.
    Der Wagen bog um die Ecke, doch sein Bild blieb Rodney gegenwärtig, und was es bedeutete, war klar.
    Das Nummernschild wies den Rover als ein Fahrzeug aus dem Wagenpark der Regierung aus. Das hieß, daß die Dunkelblonde ein Regierungsmitglied war. Und das wiederum hieß - bei dem Gedanken konnte und wollte Rodney einen kleinen Triumphschrei nicht zurückhalten -, Dennis Luxford, angeblicher Anhänger der Labour-Partei, Chefredakteur eines Labour-Blattes, trieb es mit dem Feind.

7
    Als St. James Eve Bowens Assistenten mitteilte, er würde auf die Rückkehr der Staatssekretärin warten, erntete er einen Blick hochnäsiger Mißbilligung. »Ganz wie Sie wollen. Sie können dort drüben Platz nehmen«, sagte der Mann, aber sein Gesichtsausdruck verriet, daß ihm St. James' Anwesenheit so lästig wie ein übler Geruch aus der Zentralheizung war. Sichtlich entschlossen zu demonstrieren, welch eine Zumutung dieser unangemeldete Besuch war, wandte er sich wieder seinen Geschäften zu, die vor allem darin bestanden, unablässig von einem Ort zum anderen zu sausen: vom Telefon zu den Faxgeräten, von Aktenschränken zu einem überdimensionalen Wandkalender. St. James, der ihn beobachtete, mußte an das weiße Kaninchen aus Alice im Wunderland denken, obwohl der Mann eher an einen Fahnenmast erinnerte, von dessen Spitze dunkelbraunes Haar wehte.
    Der junge Mann ging augenblicklich in Hab-Acht-Stellung, als Eve etwa zwanzig Minuten nach St. James' Ankunft ihr Büro betrat. Mit den Worten »Ich wollte schon Spürhunde auf Sie ansetzen« eilte er zur Tür und griff nach ihrem Aktenkoffer. Dann verlas er ein Bündel von Telefonnachrichten, die er gleich mitgenommen hatte. »Die Ausschußsitzung ist auf morgen verschoben. Die Hausdebatte beginnt heute abend um acht. Die Delegation vom Zoll möchte ein Mittagessen, kein Abendessen. Die Lancaster-Universität hofft, Sie können im Juni vor der konservativen feministischen Vereinigung sprechen. Und Mr. Harvie läßt fragen, ob Sie vorhaben, ihm innerhalb der nächsten zehn Jahre eine Antwort auf die Salisbury-Frage zu geben: Brauchen wir wirklich ein weiteres Gefängnis, und muß es ausgerechnet in seinem Wahlbezirk gebaut werden?«
    Eve Bowen nahm ihm die Zettel aus der Hand. »Ich glaube nicht, daß ich in den letzten zwei Stunden das Lesen verlernt habe, Joel. Könnten Sie nicht etwas Produktiveres tun?«
    Bei der Zurechtweisung blitzte einen Moment Wut im Auge des Assistenten auf. Er sagte förmlich: »Virginia ist schon gegangen, Mrs. Bowen. Da dieser Herr hier auf Ihre Rückkehr warten wollte, hielt ich es für besser, das Büro nicht unbesetzt zu lassen.«
    Bei diesen Worten sah Eve Bowen von den Telefonzetteln auf und gewahrte St. James. Ohne Joel einen

Weitere Kostenlose Bücher