08 - Im Angesicht des Feindes
vorgehabt, das Gespräch beim Frühstück zu führen; sie war nicht sicher, daß er auch jetzt noch mit seinem Vater sprechen wollte. Sie hatte gute Gründe für ihre Zweifel. Leo war so unberechenbar wie das englische Wetter.
Luxford hupte. Leo drehte sich um. Sein Haar flog - die Sonne ließ es wie ein Heiligenschein glänzen - und sein Gesicht hellte sich auf. Er lächelte. Es war ein bezauberndes Lächeln, dem seiner Mutter sehr ähnlich, und immer wenn Luxford es sah, ging ihm das Herz auf, während gleichzeitig eine Stimme in ihm verlangte, Leo müsse härter werden, frecher, rebellischer, mehr wie ein kleiner Halbstarker. Natürlich wollte Luxford keinen Halbstarken aus seinem Sohn machen, aber wenn er ihn nur dazu bringen könnte, sich wenigstens etwas in diese Richtung zu orientieren! Dann brauchte ihn seine Art, dem Leben gegenüberzutreten, nicht so stark beunruhigen.
Leo winkte. Er schwang seinen Rucksack über seine Schulter, machte einen fröhlichen kleinen Sprung und rannte zum Auto seines Vaters. Sein weißes Hemd hing ihm aus der Hose und sah auf einer Seite unter seinem marineblauen Schulpulli hervor. Luxford gefiel das. Mangelndes Interesse an Ordnung und Sauberkeit war für Leo nicht typisch, aber entschieden typisch für einen normalen Jungen seines Alters.
Leo kletterte in den Porsche. »Hallo, Daddy«, sagte er und verbesserte sich hastig: »Hallo, Dad. Ich hab' Mama erwartet. Sie hat gesagt, sie würde mit mir in die Bäckerei gehen. Da drüben.« Er zeigte mit dem Finger.
Luxford warf einen Blick auf Leos Hände. Sie waren makellos sauber, die Nägel ordentlich geschnitten, keine Schmutzränder. Luxford fügte diese Information all dem anderen hinzu, was ihn an seinem Sohn irritierte. Er war plötzlich gereizt. Wo war der Dreck? Wo waren die Schrammen? Die abgebrochenen Nägel? Die Pflaster? Das waren Fionas Hände, die er da vor sich hatte, mit langen schlanken Fingern und ovalen Nägeln mit vollendet geformten Halbmonden. Hatte Leo denn überhaupt etwas von ihm mitbekommen? Warum mußte äußere Ähnlichkeit zugleich charakterliche Ähnlichkeit bedeuten? Auch Fionas hochgewachsene, schlanke Gestalt würde Leo einmal bekommen, nicht Luxfords kräftigeren Wuchs, und Luxford hatte manche Stunde mit Gedanken darüber zugebracht, wie Leo seinen Körper eines Tages vielleicht einsetzen würde. Er hätte seinen Sohn gern als Langläufer gesehen, als Hürdenläufer, Hochspringer, Weitspringer, Stabhochspringer. Keinesfalls wollte er Leo so sehen, wie dieser sich selbst sah: als Tänzer.
»Tommy Tune ist doch auch ziemlich groß«, hatte Fiona gesagt, als Luxford es strikt abgelehnt hatte, Leo ein Paar Stepschuhe zum Geburtstag zu schenken. »Und Fred Astaire. War der nicht ganz schön groß?«
»Darum geht es nicht«, hatte Luxford zähneknirschend entgegnet. »Herrgott noch mal, Leo wird kein Tänzer, und er bekommt auch keine Stepschuhe.«
Daraufhin hatte Leo die Sache selbst in die Hand genommen. Er pflasterte mit Hilfe von Sekundenkleber die Sohlen seiner besten Schuhe vorn und hinten mit Pennys und legte auf dem Fliesenboden in der Küche begeisterte Stepübungen hin. Fiona fand das kreativ. Luxford nannte es destruktiv und ungezogen und verpaßte Leo zur Strafe zwei Wochen Hausarrest. Aber das machte Leo nichts aus. Glücklich und zufrieden saß er in seinem Zimmer, las seine Kunstbücher, kümmerte sich um seine Finken und ordnete seine Fotografien von Tänzern, die seine Vorbilder waren.
»Wenigstens ist es moderner Tanz«, sagte Fiona. »Zum Ballett will er ja gar nicht.«
»Es kommt nicht in Frage, und das ist mein letztes Wort«, erklärte Luxford und vergewisserte sich, daß das Knabeninternat Baverstock nicht etwa seit neuestem auch Tanzunterricht anbot, ganz gleich, in welcher Sparte.
»Wir wollten zusammen Kuchen essen«, bemerkte Leo.
»Mama und ich. Nach dem Zahnarzt. Aber mein Mund ist ganz pelzig, da hätte es mir wahrscheinlich sowieso nicht viel Spaß gemacht. Sieht mein Mund komisch aus, Dad?«
»Er sieht gut aus«, sagte Luxford. »Ich habe mir gedacht, wir könnten zusammen zu Mittag essen. Wenn du es dir erlauben kannst, noch eine Stunde von der Schule wegzubleiben und es mit deinem Mund geht.«
Leo lachte. »Juhu!« Er griff nach einem Sicherheitsgurt.
»Mr. Potter hat gesagt, ich soll bei der Schulfeier ein Solo singen«, berichtete er. »Er hat's mir gestern gesagt. Hat Mama es dir erzählt? Ein Halleluja.« Er steckte den Sicherheitsgurt ein. »Ein
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