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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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entdecken blieb die physische Natur des Mannes. Wenn man sie entdeckte, würde man bestimmt verstehen. Und das wiederum war entscheidend, wenn sie je auf den Grund dieser ganzen - Na klar. Alex lächelte mit grimmigem Spott und beglückwünschte sich zu seinem Niedergang. In weniger als sechsunddreißig Stunden hatte er es geschafft, sich von einem vernünftigen Menschen in einen hirnlosen Idioten zu verwandeln. Was zunächst verzweifelter Wille gewesen war, seine Tochter zu finden und sie zu retten, komme, was da wolle, war zu dem primitiven Drang verkommen, das andere Männchen zu finden und zu vernichten. Keine Lügen mehr. Er wollte Luxford nicht kennenlernen, um zu verstehen. Er wollte ihn sehen, um ihn niederzuschlagen. Und das nicht Charlies wegen. Nicht für das, was er Charlie antat. Sondern einzig Eves wegen.
    Alex erkannte, daß er seine Frau niemals nach Charlies Vater gefragt hatte, weil er nie hatte wissen wollen, wer er war. Wissen verlangte Reaktion. Und einer Reaktion auf dieses spezielle Wissen hatte er ausweichen wollen.
    »Scheiße«, flüsterte er. Die Hände auf die Ablagen zu beiden Seiten gestützt, beugte er sich über das Spülbecken. Vielleicht hätte er wie Eve zur Arbeit gehen sollen. Da war man wenigstens gezwungen zu funktionieren. Hier war er seinen Gedanken ausgeliefert. Und sie machten ihn wahnsinnig.
    Er mußte raus. Er mußte etwas tun.
    Er goß sich noch eine Tasse Kaffee ein und trank sie gierig aus. Er merkte, daß die Kopfschmerzen nachgelassen hatten und die Übelkeit abgeflaut war. Er wurde auf den liturgischen Gesang aufmerksam, den er beim Erwachen gehört hatte, und ging dem Geräusch nach ins Wohnzimmer.
    Mrs. Maguire lag vor dem Couchtisch, auf dem sie zwischen zwei kleinen Statuen und zwei brennenden Kerzen ein Kreuz aufgestellt hatte, auf den Knien. Ihre Augen waren geschlossen. Ihre Lippen bewegten sich lautlos. Genau alle zehn Sekunden schob sie eine neue Perle ihres Rosenkranzes durch ihre Finger, und dabei quollen Tränen unter ihren dunklen Wimpern hervor. Sie tropften von ihren Pausbacken auf ihren Pullover. Zwei feuchte Stellen auf ihrem üppigen Busen zeigten ihm, wie lange sie schon weinte.
    Der Gesang ertönte aus einem Kassettenrecorder, feierliche Männerstimmen, die immer wieder die Worte miserere nobis intonierten. Alex konnte kein Latein, er konnte sie also nicht übersetzen. Doch sie klangen angemessen. Sie brachten ihn wieder zu sich.
    Er konnte nicht untätig bleiben. Er konnte handeln, und er würde es tun. Es ging hier nicht um Eve. Es ging nicht um Luxford. Es ging nicht darum, was zwischen diesen beiden vorgefallen war und warum. Es ging einzig um Charlie, die den Kampf, der zwischen ihren Eltern tobte, nicht im mindesten würde begreifen können. Und für Charlie konnte er etwas tun.

    Dennis Luxford wartete einen Moment, bevor er hupte, als sein Sohn aus der Zahnarztpraxis trat. Leo blieb im hellen Licht der spätmorgendlichen Sonne stehen. Ein leichter Luftzug spielte in seinem weißblonden Haar. Er sah nach rechts und nach links und krauste verwundert die Stirn. Er hatte erwartet, den Mercedes seiner Mutter zu sehen, die ihn vor einer Stunde beim Zahnarzt abgesetzt hatte. Er hatte keine Ahnung, daß sein Vater beschlossen hatte, beim Mittagessen ein Gespräch von Mann zu Mann mit ihm zu führen, ehe er Leo zur Schule in Highgate zurückbrachte.
    »Das mache ich«, hatte Luxford zu Fiona gesagt, als sie losfahren wollte, um Leo abzuholen und zur Schule zurückzufahren. Auf ihren zweifelnden Blick hin fügte er hinzu: »Du hast doch gesagt, daß er mit mir reden will, Liebling. Wegen Baverstock. Weißt du noch?«
    »Das war gestern morgen«, antwortete sie. Es lag kein Vorwurf in ihrer Stimme. Sie war nicht verärgert darüber, daß er nicht rechtzeitig aufgestanden war, um beim Frühstück mit Leo zu sprechen. Sie war auch nicht verärgert darüber, daß er erst weit nach Mitternacht nach Hause gekommen war. Sie hatte keine Ahnung, daß er bis nach elf vergeblich auf eine Nachricht von Eve Bowen gewartet hatte, auf ihre Genehmigung, die Wahrheit über Charlotte auf der Titelseite seiner Zeitung zu veröffentlichen. Für sie war seine späte Heimkehr bloß eins der notwendigen Übel, die seine Arbeit mit sich brachte. Sie war an die unregelmäßigen Arbeitszeiten gewöhnt, die seine Karriere ihm abverlangte, und sie berichtete ihm nur die Tatsachen, wie sie das immer tat: Leo hatte vor zwei Tagen gesagt, er wolle mit seinem Vater reden; er hatte

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