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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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war, seine Türen zu schließen. Sie könne ihm jedoch versprechen, daß die zuständige Polizei dem Umfeld regelmäßige Besuche abstatten würde, um Drogen- und Alkoholmißbrauch zu verhindern und Minderjährige, die sich dort herumtreiben sollten, nach Hause zu schicken. Sie sagte, wenn man in einer Großstadt lebe, müsse man stets Kompromisse schließen, und Mr. Czvanek werde zumindest vorläufig mit dem VideoCenter leben müssen.
    Er schien zufrieden. Lächelnd war er aufgestanden und hatte überschwenglich gesagt: »Hier großartiges Land. Mann wie ich sprechen mit Mrs. Parliament persönlich. Wirklich großartig.«
    Eve hatte dem Mann die Hand geschüttelt, wie sie jedem ihrer Wähler, der sie in ihrer Sprechstunde aufsuchte, die Hand zu schütteln pflegte, und als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, rief sie ihre Sekretärin an: »Ich brauche fünf Minuten Pause, Nuala. Wie viele sind es noch?«
    »Sechs«, antwortete Nuala mit gesenkter Stimme aus dem Vorzimmer. »Und Mr. Woodward hat wieder angerufen. Er sagt, es sei sehr dringend. Sie möchten ihn zurückrufen, sobald Sie eine freie Minute haben.«
    »Worum geht es denn?«
    »Ich habe ihn nicht gefragt, Mrs. Bowen.« Nualas Ton verriet, wie unsympathisch ihr Joel Woodwards Art war, stets den großen Schweiger zu spielen und so zu tun, als handelte es sich bei jeder Nachricht, die er zu übermitteln hatte, um ein Staatsgeheimnis. »Soll ich ihn zurückrufen?«
    »Gleich. Ich möchte erst noch mit den anderen Leuten sprechen, die draußen warten.«
    Eve nahm die Brille ab und legte sie auf den Schreibtisch. Sie war seit drei Uhr im Bezirksbüro. Es war ihre gewohnte Freitagssprechstunde, aber nichts außer dem Andrang von Frage- und Bittstellern und der Besprechung mit dem Vorsitzenden der Bezirksgruppe war diesmal wie gewohnt gewesen. Statt jedes Gespräch wie sonst mit gesammelter Aufmerksamkeit zu führen und auf jede Frage und jede Bitte eine Antwort parat zu haben, war sie mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen. Mehr als einmal hatte sie, unter dem Vorwand, sich Notizen zu machen, um Wiederholung und nähere Erklärung von Fragen und Argumenten bitten müssen. Das mochte bei anderen Abgeordneten, die ihren Wählern in der Sprechstunde Rede und Antwort standen, normal sein, für Eve Bowen war es das keineswegs. Sie war stolz auf ihr hervorragendes Gedächtnis und ihre unglaublich schnelle Auffassungsgabe. Daß sie jetzt Schwierigkeiten hatte, mit ihren Wählern umzugehen, deren Fragen sie eigentlich mit links hätte kontern, einordnen und beantworten müssen, zeigte ihr, wie leicht man ihr die innere Zerrüttung anmerken könnte, die sie doch unbedingt verbergen wollte.
    Weiterzumachen wie bisher war die richtige Reaktion auf Charlottes Verschwinden gewesen. Bisher war es ihr gelungen, aber unter der Belastung begann sie brüchig zu werden. Und das erschütterte sie mehr als Charlottes Verschwinden. Erst achtundvierzig Stunden waren seit der Entführung ihrer Tochter vergangen, und Eve wußte, wenn sie diese Schlacht mit Dennis Luxford gewinnen wollte, dann mußte sie auf eine lange Belagerung gefaßt sein. Um ihr standzuhalten, gab es nur eins: sich ganz auf die jeweiligen Tagesgeschäfte zu konzentrieren.
    Aus diesem Grund hatte sie Joel Woodwards Anrufe nicht erwidert. Sie konnte es nicht riskieren, sich von ihrem Assistenten noch mehr aus dem Tritt bringen zu lassen.
    Durch eine Seitentür ihres Büros stahl sie sich in den Korridor hinaus, der zum rückwärtigen Teil des Hauses führte. Dort sperrte sie sich in der Toilette ein und wusch sich Mr. Czvaneks fettigen Händedruck ab. Sie legte unter ihren Augen eine dünne Schicht Make-up auf und zog ihre Lippen nach. Sie wischte sich ein Haar von ihrer Kostümjacke. Sie richtete den Kragen ihrer Bluse. Dann trat sie vom Spiegel zurück und musterte kritisch ihr Aussehen. Normal, dachte sie. Bis auf die Nerven, die überreizt waren, seit sie ihr Büro am Parliament Square verlassen hatte.
    Die Begegnung mit der Journalistin hatte nichts zu bedeuten. Überhaupt nichts. Jeden Tag stürzten sich Journalisten auf Abgeordnete und Mitglieder der Regierung. Sie wollten schnelle Antworten auf ihre Fragen, wollten Interviews oder Hintergrundinformationen, wollten sich irgendeine Story bestätigen lassen. Sie versprachen Anonymität, sie garantierten genaue Wiedergabe, sie schworen, als Quelle würde eine andere Person genannt werden. Aber sie waren immer da, im Vorraum des Unterhauses, im

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