08 - Im Angesicht des Feindes
Innenministerium, in Whitehall, am Parliament Square, immer auf der Jagd. Es war daher überhaupt nichts Ungewöhnliches daran gewesen, daß sie, als sie mit bereits einer Stunde Verspätung zu ihrer Sprechstunde in Marylebone eilte, auf dem Weg zu ihrem Wagen von einer Journalistin angesprochen wurde. Ungewöhnlich war jedoch alles gewesen, was darauf gefolgt war.
Sie hieß Tarp. Diana Tarp, sagte sie, obwohl Eve das auf dem Presseausweis, den sie an einer Kette um den Hals trug, klar und deutlich lesen konnte. Sie vertrat den Globe und wollte mit der Staatssekretärin gern einen Termin für ein Interview vereinbaren. So bald wie möglich, wenn es Mrs. Bowen recht sei.
Eve war von diesem Frontalangriff so überrascht gewesen, daß sie auf dem Weg zur Tür, durch die sie ihren Rover und den wartenden Fahrer sehen konnte, unwillkürlich stehengeblieben war. »Wie bitte?« hatte sie gesagt, und ehe Diana Tarp etwas erwidern konnte, hatte sie hinzugefügt: »Wenn Sie ein Interview möchten, würde ich vorschlagen, Sie rufen mein Büro an und sprechen mich nicht auf der Straße an wie ein Strichmädchen, das einen Freier sucht. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.«
Als sie an der Journalistin vorübergehen wollte, hatte diese leise gesagt: »Ich dachte, es wäre Ihnen angenehmer, wenn ich Sie persönlich anspreche und das nicht über Ihr Büropersonal laufen lasse.«
Eve, die sich schon wieder in Bewegung gesetzt hatte, machte noch zwei langsame Schritte, dann blieb sie stehen.
»Was?«
Die Journalistin sah ihr ruhig in die Augen. »Sie wissen doch, wie das in den Büros abläuft, Mrs. Bowen. Ein Journalist ruft an, möchte aber keine präzise Nachricht hinterlassen. Fünf Minuten später weiß die Hälfte des Personals Bescheid. Und noch einmal fünf Minuten später stellt das gesamte Personal Spekulationen über die Gründe an. Ich dachte, das würden Sie gern vermeiden. Daß die anderen etwas erfahren und herumspekulieren, meine ich.«
Eve war eiskalt geworden bei ihren Worten. Gleich darauf jedoch erfaßte sie ein solcher Zorn, daß sie fürchtete, die Beherrschung zu verlieren, wenn sie jetzt sprach. Sie hatte ihren Aktenkoffer von der einen Hand in die andere genommen und auf ihre Uhr gesehen, um ihre Fassung wiederzugewinnen.
Schließlich sagte sie: »Ich habe leider im Moment nicht die Zeit, mich mit Ihnen zu unterhalten, Mrs. -« und warf einen Blick auf den Presseausweis der Journalistin.
»Tarp«, sagte diese. »Diana Tarp.« Ihr Ton verriet Eve, daß sie von ihrer Vorstellung weder überzeugt noch beeindruckt war.
»Natürlich. Ja. Also, wenn Sie den Termin nicht über mein Büro vereinbaren möchten, Mrs. Tarp, dann geben Sie mir Ihre Karte, und ich melde mich, sobald ich kann. Mehr kann ich im Moment nicht tun. Ich bin schon jetzt zu spät dran für meine Sprechstunde.«
Nach einer kleinen Pause, in der sie einander wie zwei potentielle Gegnerinnen gemustert hatten, reichte Diana Tarp Eve ihre Karte. Aber sie wandte nicht einen Moment den Blick von Eves Gesicht, als sie die Karte aus ihrer Jackentasche zog.
»Ich hoffe sehr, von Ihnen zu hören«, sagte sie.
Im Fond des Rover, der sie durch die Stadt nach Marylebone trug, sah Eve sich die Karte an. Sie verzeichnete den Namen der Frau, ihre Privatadresse, ihre dienstliche Adresse, mehrere Telefon- und Faxnummern. Kein Zweifel, wenn es irgendwo eine Story zu holen gab, war Diana Tarp jederzeit bereit.
Langsam riß Eve die Karte in der Mitte durch. Sie zerriß sie in Viertel und dann in Achtel. Als sie sie auf die Größe von Konfetti reduziert hatte, behielt sie die Schnipsel in der Hand und warf sie, sobald der Wagen vor dem Bezirksausschußgebäude hielt, in den Rinnstein, wo ein Bächlein braunen Wassers zum nächsten Abfluß rann. Damit wäre das erledigt, dachte Eve.
Völlig bedeutungslos, sagte sie sich jetzt. Der Ansatz der Journalistin war ungewöhnlich gewesen, aber das war vielleicht einfach ihr Stil. Vielleicht arbeitete sie an einer Story über die wachsende Zahl von Frauen im Parlament, über die Notwendigkeit, mehr Frauen in die Regierung zu holen. Sie konnte über einen von einem ganzen Dutzend Bereichen recherchieren, die in die Verantwortung des Innenministeriums fielen. Vielleicht wollte sie sich über Änderungen in der Einwanderungspolitik oder über die Zentralisierung der Polizei oder über die Reform des Strafvollzugs informieren. Vielleicht wollte sie die Position der Regierung zur Asylfrage oder zur Frage eines
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