08 - Old Surehand II
rücksichtslose Grobheit und nun feige Flucht! Wir kamen nicht dazu, eine Bemerkung darüber zu machen, denn aus der Tür, hinter welcher sie bisher ängstlich versteckt gewesen war, trat jetzt eine Frau. Sie hatte Rollins hinter den Büschen verschwinden sehen und sagte, froh aufatmend:
„Gott sei Dank! Ich glaubte schon, es werde zum Blutvergießen kommen. Er ist betrunken. Er hat während der ganzen Nacht phantasiert und dann die letzte Flasche Brandy ausgetrunken!“
„Ihr seid seine Frau?“ fragte ich.
„Ja. Ich hoffe, daß ich es nicht zu entgelten habe, Mesch'schurs! Ich kann ja nichts dafür.“
„Das wollen wir glauben. Fast möchte man annehmen, daß Euer Mann geistig gestört sei.“
„Das ist er leider auch. O Gott, ihr glaubt gar nicht, wie unglücklich ich bin! Er bildet sich ein, daß ein Schatz hier in der Nähe vergraben liegt. Den will er heben. Kein anderer soll ihn finden, und darum duldet er keinen Menschen in dieser Gegend. Hier dieser junge Indsman ist schon seit vier Tagen hier. Er konnte nicht weiter, weil er sich den Fuß vertreten hat, und wollte bei uns bleiben, bis er wieder richtig laufen kann; aber Rollins jagte ihn fort. Nun muß der arme Teufel im Freien kampieren.“
Sie deutete auf den Indianer, welcher herbeigekommen war. Es war alles so schnell geschehen, daß ich ihn noch nicht wieder hatte beachten können.
Er mochte achtzehn Jahre alt sein. Sein Anzug war aus mit Gehirn gegerbter Hirschhaut gefertigt und an den Nähten ausgefranst. Diese Fransen waren nicht mit Menschenhaaren geschmückt; er hatte also noch keinen Feind getötet. Sein Kopf war unbedeckt. Seine Waffen bestanden aus einem Messer und Bogen mit Köcher. Er durfte wohl noch kein Feuergewehr tragen. Um den Hals trug er eine messingene Kette, an welcher das Rohr einer Friedenspfeife hing, der Kopf derselben fehlte. Das war das Zeichen, daß er sich auf der Wallfahrt nach den heiligen Steinbrüchen befand, aus welchen die Indianer den Pfeifenton beziehen. Während dieser Reise ist ein jeder unverletzlich. Selbst der blutgierigste Gegner muß ihn da unbeschädigt ziehen lassen, ja, ihn nötigenfalls sogar beschützen.
Die offenen, intelligenten Züge dieses Jünglings gefielen mir. Das Gesicht hatte einen fast kaukasischen Schnitt. Die Augen waren sammetschwarz und mit dem Ausdruck des Dankes auf mich gerichtet. Er streckte mir die Hand entgegen und sagte:
„Du hast Ischarshiütuha beschützt. Ich bin dein Freund!“
Diese letztere Versicherung klang sehr stolz; das gefiel mir ebenso wie der Sprecher selbst. Sein Name aber frappierte mich. Ischarshiütuha ist ein apachisches Wort und heißt so viel wie ‚Kleiner Hirsch‘, darum fragte ich:
„Bist du ein Apache?“
„Ischarshiütuha ist der Sohn eines großen Kriegers der Mescalero-Apachen, der tapfersten roten Männer.“
„Sie sind meine Freunde, und Intschu tschuna, der größte ihrer Häuptlinge, ist mein Bruder.“
Sein Blick fuhr rasch und scharf an meiner Gestalt empor. Dann fragte er:
„Intschu tschuna ist der tapferste der Helden. Wie nennt er dich?“
„Yato-inta.“
Da trat er um mehrere Schritte zur Seite, senkte den Blick und sagte:
„Die Söhne der Apachen kennen dich. Ich bin noch kein Krieger; ich darf nicht mit dir sprechen.“
Das war die Demut eines Indianers, welcher den Rang eines anderen offen anerkennt, den Kopf aber nicht um einen Zehntelzoll niederbeugt.
„Du darfst mit mir sprechen, denn du wirst einst ein berühmter Krieger sein. Du wirst in kurzer Zeit nicht mehr Ischarshiütuha, der ‚Kleine Hirsch‘, heißen, sondern Pehnulte, der ‚Große Hirsch‘. Du hast einen kranken Fuß?“
„Ja.“
„Und bist aus deinem Wigwam ohne Pferd gegangen?“
„Ich hole den heiligen Pfeifenton. Ich laufe.“
„Dieses Opfer wird dem großen Geist gefallen. Komm in das Haus!“
„Ihr seid Krieger, und ich bin noch jung. Erlaubt, daß ich bei meinem kleinen weißen Bruder bleibe!“
Er trat zu dem hübschen blonden, blauäugigen Knaben, welcher still und traurig dagestanden hatte, die Hand auf die Stelle gelegt, an welche ihn der Gewehrkolben seines Vaters getroffen hatte. Die beiden wechselten einen Blick, ganz unbewußt, mir aber sofort auffallend. Sie standen jedenfalls jetzt nicht zum erstenmal nebeneinander. Der ‚Kleine Hirsch‘ war nicht ohne Absicht hier, er verbarg ein Geheimnis, vielleicht gar ein für die Bewohner des Blockhauses gefährliches. Ich fühlte das Verlangen, hinter dasselbe zu kommen,
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