08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
die Wahrheit. Die jüngere Tochter stellte fest, daß sie ungesetzlich verheiratet war, denn ihre Schwester lebte ja noch. Als sie merkten, daß sie beide denselben Gatten hatten, sollen sie vor Scham gestorben sein.« Er unterbrach sich wieder und grinste. »Was für eine Dummheit! Jedenfalls kam die Geschichte ihrem Vater, dem Großkönig, zu Ohren, und aus Rache marschierte er mit seinem Heer in Laigin ein, stellte Eochaidh zur Schlacht, erschlug ihn und verwüstete das Land.
Die Männer von Laigin baten um Frieden und verpflichteten sich, einen jährlichen Tribut zu zahlen, vorwiegend in Rindern. Von der Zeit an forderten die Uí Néill als Nachfolger Tuathals diesen bóramha oder Rindertribut, mußten ihn aber oft mit Gewalt erzwingen. Deshalb gab uns Blathmac den Befehl, nach Süden zu ziehen und Rath Bíle dem Erdboden gleichzumachen zum Zeichen dafür, daß er entschlossen war, diesen Tribut vom König von Laigin einzufordern.«
»Aber war nicht schon ein Abkommen geschlossen worden?« wandte Fidelma ein. »Seid ihr nicht nach dem Süden gezogen, nachdem die beiden Könige sich verständigt hatten?«
Cian antwortete mit einer ungeduldigen Geste.
»Einem Krieger kommt es nicht zu, seine Befehle in Frage zu stellen, Fidelma. Ich hatte Befehl, nach dem Süden zu ziehen, also tat ich es.«
»Du gibst zu, daß du die Schar befehligt hast?«
»Natürlich habe ich das. Das leugne ich doch nicht! Aber ich hatte den gültigen Auftrag vom Großkönig. Ich ging dorthin, um den Tribut zu erzwingen.«
»Selbst der Großkönig steht nicht über dem Gesetz, Cian. Was geschah dann weiter?«
»Wir fuhren auf vier Schiffen, vier Fünfzigschaften der Fianna der Großkönigs. Wir waren die Elite seiner Leibgarde. Wir landeten im Hafen der Uí Enechglais und marschierten nach Westen über den Fluß Sléine, bis wir Rath Bíle erreichten. Der Bruder des Königs von Laigin weigerte sich, Burg und Dorf zu übergeben.«
»Also habt ihr angegriffen?«
»Wir griffen an«, bestätigte Cian. »Auf Befehl des Großkönigs.«
»Gibst du zu, daß du und deine Krieger auch Frauen und Kinder erschlagen haben?«
»Als unsere Männer vorgingen, konnten wir uns nicht erst erkundigen, wer unser Feind war und wer nicht. Die Leute kämpften gegen uns, beschossen uns mit Pfeilen, ob sie nun Krieger oder Greise oder sogar Frauen und Kinder waren. Es war unsere Aufgabe, den Auftrag auszuführen und unsere rechtmäßigen Befehle zu befolgen.«
Fidelma erwog die Geschichte eine Weile. Die Situation auf der »Ringelgans« wurde immer verzwickter. Das Rätsel um den Mord an Schwester Muirgel war schlimm genug, und dann kam noch die Behauptung Bruder Guss’ hinzu, Schwester Canair sei ebenfalls ermordet worden, noch bevor das Schiff auslief. Nun stand sie vor einer zusätzlichen Schwierigkeit durch Toca Nias Anschuldigung gegen Cian.
»Das ist eine ernste Angelegenheit, Cian. Sie muß vor den Oberrichter und den Gerichtshof des Großkönigs gebracht werden. Ich weiß wenig vom Kriegsrecht. Das muß ein berufenerer Richter beurteilen. Ich weiß, daß es Umstände gibt, unter denen das Töten von Menschen gerechtfertigt ist und nicht unter Strafe steht. Es verstößt nicht gegen das Gesetz, in der Schlacht zu töten – oder auch einen Dieb zu töten, der auf frischer Tat ertappt wird. Aber die Entscheidung liegt bei einem Gerichtshof.«
Cians Miene spiegelte seinen Zorn.
»Heißt das, daß du Toca Nia glaubst und mir nicht?« fragte er grollend.
»Es steht mir nicht zu, zu entscheiden, wer von euch beiden die Wahrheit sagt. Toca Nia erhebt eine Beschuldigung, und du mußt darauf antworten. Es ist eine schwerwiegende Beschuldigung. Es geschieht zu deinem eigenen Besten, Cian, denn Toca Nia weiß sehr gut, daß ein Rechtsbrecher von jedem straflos getötet werden darf. Er könnte dich töten und auf Straflosigkeit pochen.«
»Das Gesetz gilt doch nicht außerhalb der fünf Königreiche«, protestierte Cian.
»Das spielt keine Rolle. Du befindest dich auf einem irischen Schiff und stehst damit ebenso unter den Gesetzen der Fénechus wie auf dem Boden von Éireann. Du mußt nach Laigin zurückkehren und dich dort verteidigen.«
Cian starrte sie ungläubig an.
»Das kannst du mir doch nicht antun, Fidelma.«
Ihre Augen trafen sich, ihr Blick war unnachgiebig.
»Das kann ich«, sagte sie leise. » Dura lex sed lex. Das Gesetz ist hart, aber es ist das Gesetz.«
»Und wenn ich mich nicht auf diesem Schiff befände, dann würde das Gesetz
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