08
hatte keine Angst um Lara. Sie hatte Angst um mich.
„So etwas Ähnliches habe ich dir schon mal gesagt, aber damals hattest du andere Probleme. Dieses Mal habe ich deine ungeteilte Aufmerksamkeit, nicht wahr?"
„Ja, absolut, worauf du dich verlassen kannst."
„Dann verstehen wir uns also."
„Ja, hundertprozentig", versicherte ich ihr.
„Dann ist ja gut."
„Jawohl."
Ihre Ermahnung noch im Ohr, folgte ich ihr zurück in die Küche. Zuvor hatte Jeannie noch einen der Trockner geöffnet, darin herumgewühlt und dann die Maschine wieder angestellt. „Ein Quilt", erklärte sie, und ich nickte, als wäre es eine ganz gewöhnliche Woche, ein ganz normaler Tag und eine ebenso normale Unterhaltung.
Wir kamen gerade rechtzeitig zurück, um zu hören, wie Lara lachte und Jessica sagte: „Uff! Schon gut, schon gut, du schlimmes Kind, du hast die Wette gewonnen."
Jessica, die offenbar im Armdrücken verloren hatte, war erleichtert, als sie mich sah. Sie rieb sich die schmerzende Schulter. „Ah, da seid ihr ja wieder.
Was gibt's Neues?"
„Ich habe ihr nur den Weg zum Spielplatz erklärt", log Jeannie seelenruhig.
„Lara, du darfst gehen, aber du hörst auf Betsy genauso wie auf mich, verstanden?"
„Ja, Mom." Lara glitt von ihrem Barhocker und baute sich vor mir auf.
„Hallo noch mal", sagte die zukünftige Rudelführerin. „Hübsche Zöpfchen", erwiderte ich.
82
Und so kam es, dass ich mit Lara - der ältesten Tochter von Michael und Jeannie - auf den Spielplatz ging, um ein bisschen unschuldigen Werwolfspaß zu haben.
Lara war wirklich ein süßes Mädchen, keine Frage. Sie hatte die Augen ihres Vaters, in diesem merkwürdigen Gelbgold, das ich bisher nur aus Naturdokumentationen kannte - wie Eulen oder Falkenaugen. Sie war schlank und hielt sich aufrecht, das lockige dunkle Haar in zwei Zöpfchen gebunden.
Sie trug Jeans und ein Hannah-Montana-T-Shirt. Wie alt mochte sie sein?
Sechs Jahre?
„.. dann hat Daddy gesagt, dass ihr Antonia zurückbringt, aber jetzt musst du mit dem Rat sprechen, und niemand weiß, wie es danach weitergehen wird, und Derik ist echt traurig, weil er Antonia liebt. . geliebt hat, und . ."
„Wo ist denn dieser verflixte Spielplatz?", murmelte ich. Seit acht Minuten hatte Lara kein einziges Mal Luft geholt. Wir hatten einen Pfad genommen, der vom Grundstück herunterführte, und gingen nun auf einem schmalen, mit Ziegelsteinen eingefassten Bürgersteig neben einem Fahrradweg. Lara hatte mir erklärt, dass der Spielplatz „ganz in der Nähe" war. Mittlerweile begann ich daran zu zweifeln.
„.. hat vor den Rat treten müssen, seitdem Großvater das Rudel angeführt hat, also weiß niemand, was eigentlich passieren ..."
„Es gibt überhaupt keinen Spielplatz", murmelte ich. „Das ist 46
meine Theorie. Ich sitze in der Falle auf einem Bürgersteig, der kein Ende hat, genauso wie der Fahrradweg."
„.. nach draußen gehen kannst?"
„Wie bitte?"
„Ich sagte, wie kommt es, dass du nach draußen gehen kannst? Es ist Tag."
„Ich kann es eben." „Aber wie kommt das?"
Laut ausgesprochen hörte es sich dumm an, aber ich tat es trotzdem. „Weil ich die Königin bin. Sonnenlicht kann mir nichts anhaben. Das können nur Plagiate von Designerschuhen."
„Ich dachte, du müsstest in einem Sarg schlafen, aber meine Freundin sagte, ihr hättet eine der Gästesuiten, und da gibt es keine Särge, und .. "
Ich blieb stehen. Lara hielt neben mir an. Wir waren um eine baumgesäumte Straßenecke herumgegangen, und plötzlich lag der Park vor uns. Auf einem großen Schild am Eingang stand: Michael Wyndham Sr. Park.
„Sag nichts", sagte ich zu Lara. „Lass mich raten."
„Du musst nicht raten", sagte Lara, die mir einen Blick zuwarf, den ich nur allzu gut kannte und der bedeutete: Wie blöd bist du denn? „Da steht das Schild."
„Also hat dein Vater den Park hier angelegt?"
„Nein, Daddy ist der Dritte."
„Er ist was?"
„Michael Wyndham, der Dritte. Mein Urgroßvater war . ."
„Weißt du was? Ich glaube, ich will es gar nicht mehr wissen." Tradition. Ich hätte daran denken sollen, wo ich war. Dies war New England, nicht Minnesota. „Dann lauf."
Das tat sie auch und steuerte direkt das Klettergerüst an. Auf dem Parkplatz zu unserer Linken standen nicht viele Autos
47
vielleicht sechs und ungefähr ebenso viele Kinder spielten auf dem Platz.
Einige plaudernde Mütter saßen auf den Bänken auf der anderen Seite des Parks und warfen hin und wieder ein Auge
Weitere Kostenlose Bücher