080 - Am Tor zur Hölle
Zustand, oder als bloßer Gedanke…
Der Ex-Dämon hielt immer noch Roxanes Hand fest. War es möglich, daß sie beobachtet und belauert wurden? Wußte man über ihre Schritte genau Bescheid? Gab es tödliche Fallen, von denen sie sich in acht nehmen mußten?
Immer neue Fragen durchstürmten Mr. Silver, und es ärgerte ihn, daß er sie nicht beantworten konnte.
Sie näherten sich hohen dürren Büschen.
»Nicht sehr üppig, die Vegetation hier«, bemerkte Mr. Silver. »Die Pflanzen stehen kurz vor dem Verdorren.«
»Wahrscheinlich fehlt es ihnen an Wasser. Der Boden ist trocken und rissig«, sagte Roxane.
»Wer weiß, ob es hier überhaupt mal regnet.«
Sie gingen an den Büschen vorbei, und plötzlich verharrte Mr. Silver. Vor ihnen lag ein kleiner, verwahrloster Friedhof. Die Gräber standen dichtgedrängt. Die meisten waren nicht gekennzeichnet. Kein Grabstein, kein Hinweis darauf, wer hier begraben war. Nichts.
»Jetzt hätte ich gern mein Höllenschwert bei mir«, knurrte Mr. Silver mit zusammengezogenen Augenbrauen.
»Was befürchtest du? Einen Angriff? Daß die Toten sich erheben und über uns herfallen?« fragte Roxane.
»Wo Tote sind, da gibt es auch Lebende«, sagte der Ex-Dämon. »Sie sind bestimmt die größere Gefahr.«
Wie ein irreales Zerrbild lag der unheimliche Friedhof vor ihnen. Die Perspektiven stimmten nicht. Das Ganze erschien ihnen, als wäre es mit einem Froschauge, einer sehr stark gewölbten Linse, aufgenommen worden. Der Boden bog sich seitlich nach oben, was senkrecht stehen sollte, stand schräg.
Was würde passieren, wenn Roxane und Mr. Silver weitergingen?
Der Ex-Dämon zögerte, seinen Fuß zwischen die Gräber zu setzen. Der Boden konnte sich urplötzlich in einen heiligen Sumpf verwandeln und sie verschlingen. Nichts war unmöglich. Die unbegreiflichsten Dinge konnten geschehen.
Ein knirschendes Geräusch drang an ihr Ohr. Roxane zuckte heftig zusammen. Mr. Silver riß sie mit sich zu den Büschen zurück. Geduckt verbargen sie sich, so gut es ging.
»Da kommt jemand«, raunte der Ex-Dämon seiner Freundin zu.
Gespannt warteten sie. Die knirschenden Schritte kamen rasch näher, verharrten, waten wieder zu hören. Jemand lief auf den Friedhof zu. Immer wieder blieb er stehen, dann eilte er weiter.
Mr. Silver richtete sich vorsichtig auf. Er sah eine Gestalt. Huschend, rennend, immer wieder Deckung suchend.
»Da will noch jemand nicht bemerkt werden«, flüsterte Mr. Silver.
Auch Roxane richtete sich etwas mehr auf. Zwischen schwarzen Zweigen sah sie eine nackte Schulter, braune Haut. Gleich war die Schulter wieder weg.
»Erging es dem so wie uns?« fragte Mr. Silver.
»Glaube ich kaum«, sagte Roxane.
»Warum will er auf den Friedhof? Was sucht er hier?«
»Wir werden mit ihm reden. Er wird uns vielleicht sagen können, wo wir uns befinden.«
»Gute Idee«, sagte Mr. Silver.
Sie hörten, wie Metall in den krustigen Boden stach. Sehr schnell und immer wieder.
»Der buddelt einen Toten aus!« sagte Mr. Silver überrascht. »Bin gespannt, wie er uns das erklären wird.«
Etwas Schwarzes strich auf einmal durch die Luft. Der Ex-Dämon zuckte mit seiner Freundin unwillkürlich zurück. Sie wurden nicht entdeckt.
Abermals nahmen sie eine schwarze Bewegung am roten Himmel wahr. Vögel waren es. Wenn ihre Schnäbel nicht gebogen gewesen wären, hätte man sie für Krähen halten können.
»Totenvögel?« vermutete Mr. Silver. »Wachen sie über diesen Friedhof, damit niemand eine Leiche stiehlt?«
Fast lautlos schwebten die Vögel über die Gräber. Sie bewegten die Flügel kaum, segelten auf den Mann zu, der sich mit einer Schaufel an einem der Gräber zu schaffen machte.
Was würde geschehen? Würden die Vögel ihn angreifen und verjagen? Würden sie ihn töten?
Es kamen weitere schwarze Vögel. Mr. Silver nannte sie Satanskrähen. Er glaubte nicht zu irren, wenn er annahm, daß diese schwarz gefiederten Tiere höllischen Ursprungs waren.
Sie hatten kräftige Füße mit scharfen Krallen, und mit ihren Schnäbeln konnten sie bestimmt tiefe Wunden schlagen.
Der Mann mit dem nackten Oberkörper hörte sie nicht kommen. Er arbeitete in großer Eile. Schaufel um Schaufel grub er aus. Schnell warf er das trockene Erdreich zur Seite und stieß das Metallblatt gleich wieder in das Grab.
Er keuchte und schwitzte. Unter seiner braunen Haut spannten sich harte Muskelstränge. Er war groß, breitschultrig und kräftig, und er schaufelte so hektisch, als ginge es um
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