080 - Die Vampir- Oma und ihre Kleinen
bösartiger ein solcher Streich war, um so mehr freuten sie sich darüber. Über Lucie Sonnfelds Tod wollten sie sich ausschütten vor Lachen.
„Ihr scheint mir ja eine schöne Bande zu sein“, sagte in diesem Moment eine Stimme hinter den Kindern.
Die Kinder drehten sich um. Eine dunkel gekleidete Frau stand vor ihnen. Sie war groß und hager. Ihr bleiches Gesicht, das früher sehr schön gewesen sein mußte, hatte viele Falten. Ihre Augen glänzten unheimlich.
„Wer bist denn du?“ fragte Erika, die vor niemandem Furcht hatte.
„Ich wohne in dem Haus dort. Ihr könnt mich Tante Annie nennen, Kinder. Kommt, kommt herein zu mir. Ich habe Kakao und Kuchen für euch. Ihr seid mir liebe Gäste, die liebsten überhaupt.“
Die drei Kinder sahen sich vielsagend an. An dieser Frau war etwas, das sie unwiderstehlich anzog. Sie ließen ihr Feuer im Stich und folgten der Frau ins Haus. Vom gegenüberliegenden Flußufer aus beobachtete Gerda Holzbauer, wie sie in dem düsteren, alten Haus verschwanden.
„Kommt nur mit in die Stube“, forderte Annie Engelmann die Kinder auf. „Ich habe süßen Kuchen, und ich werde gleich den Kakao einschenken. Ich beobachte euch schon eine ganze Weile, Kinder.“
Die drei setzten sich an den Tisch. Annie bewirtete sie.
Zum erstenmal sah sie die drei ganz aus der Nähe. Voller Wohlgefallen betrachtete sie die Kinder, die beiden häßlichen, sommersprossigen, strohhaarigen Jungen, und die bildhübsche Erika.
„Bist du auch so wie wir?“ platzte Harald heraus, den Mund voller Kuchen. „Bist du eine Hexe wie aus dem Märchen?“
„Ja, ich bin so wie ihr – fast so. Doch eine Hexe bin ich nicht. Ich kenne euch schon lange, schon seit eurer Geburt. Oft habe ich euch in meiner Kristallkugel beobachtet, und ich weiß, welche Fähigkeiten ihr habt. Erzählt mir von euch, was ihr gern tut und was euch bewegt. Mit mir könnt ihr über alles reden, wie sonst mit keinem Menschen. Wir werden in Zukunft sehr oft beisammen sein, Kinder.“
Es war den Kindern, als würden sie die Frau schon lange kennen. Sie fühlten sich sofort daheim in dem düsteren, alten Haus. Zu Annie hatten sie in wenigen Minuten mehr Vertrauen gefaßt als zu ihren vermeintlichen Eltern in den vergangenen Jahren.
Sie erzählten Annie von ihren bösen Streichen, von den Diebstählen, den Tierquälereien, mißhandelten Mitschülern und anderen Kindern. Sie ließen auch den brennenden Wagen des Rektors nicht aus, erzählten von dem Treppensturz des Sportlehrers und schilderten, wie sie die wehrlose Lucie Sonnfeld in die Sickergrube gestoßen hatten, wo sie ertrank. Auch Gerda Holzbauer erwähnten sie.
Annie erschrak.
„Ihr meint, die Lehrerin hat euch in mein Haus gehen sehen?“
„Ja. Aber sie kann gar nichts machen. Sie ahnt wohl etwas, vielleicht sogar die Wahrheit, aber sie ist machtlos.“
„Da bin ich nicht so sicher“, erwiderte Annie Engelmann. „Besonders der Tod Lucie Sonnfelds hat eine Menge Staub aufgewirbelt. Wenn Gerda Holzbauer redet, dann kann es sehr böse für uns alle werden. Ihr seid zwar Kinder der Finsternis, aber noch Kinder und nicht ausgereift. In diesem Stadium können die Menschen euch noch überwältigen, einsperren, ja sogar töten. Eine große Furcht, die sich in früheren Jahrhunderten in Hexenverbrennungen und – Verfolgungen entlud, ist in der menschlichen Natur verankert. Die Menschen denken nicht mehr rationell, wenn es um Übernatürliches geht. Ihr müßt vorsichtig sein, Kinder.“
Die drei sahen die Hebamme ratlos an.
„Was sollen wir denn tun, Tante Annie?“
„Was habt ihr mit Lucie gemacht, daß sie nicht reden konnte, he? Bringt die Lehrerin zum Schweigen. Ihr habt am Flußufer ein so schönes Feuerchen gemacht. Geht heute nacht zum Haus der Lehrerin, steckt es in Brand und sorgt dafür, daß sie in den Flammen umkommt. Dann seid ihr sicher.“
„Ja, das ist eine prima Idee. Das machen wir, Tante Annie.“
„Gut. Kommt jetzt mit mir. Ich will euch etwas zeigen.“
Die drei Kinder stiegen hinter Annie Engelmann die Treppe hoch. Annie öffnete die Tür zu einem düsteren Zimmer und winkte den Kindern einzutreten. Mit großen Augen sahen sie sich in dem dämmrigen Raum um. Bis ihre Blicke an der schwarzen Statue haften blieben.
Die Augen der Figur phosphoreszierten, als sei sie lebendig. Schweigend standen die Kinder im Halbkreis davor. Annie Engelmann blieb hinter ihnen.
„Das sind sie, Meister“, sagte sie triumphierend. „Deine Brut, die
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