080 - Die Vampir- Oma und ihre Kleinen
Wäsche zum Trocknen aufgehängt. Kinder spielten am Wasser. Ihre hellen Stimmen drangen in das hohe, enge, mit altertümlichen Möbeln vollgestopfte Zimmer und störten die düstere Atmosphäre, die zwischen den Wänden brütete.
Eine alte Steinbrücke, zu deren beiden Seiten Standbilder eines Heiligen, St. Nepomuk, standen, spannte sich über den Fluß. Nur ein Pkw konnte jeweils darüber fahren.
Die Häuser am Fluß waren alle alt, hatten dicke Mauern und feuchte, dunkle Keller. Der Grundstein für einige der Häuser war noch im späten Mittelalter gelegt worden. Die düsteren, massiven Gewölbe hatten den Jahrhunderten getrotzt. Niemand wollte gerne in den alten Häusern leben. Die Gegend am Fluß war verrufen.
Der dunkelhaarigen Frau aber, die gerade eine Seance mit dem Abbild ihres Meisters hinter sich hatte, gefiel die Wohngegend am Fluß. Sie fühlte sich wohl in dem großen, düsteren Haus, das sie allein mit ihrer achtzehnjährigen Tochter Roswitha bewohnte.
Nach der Seance ging sie aus dem zweiten Stock hinunter ins Erdgeschoß. Sie trat zu dem Telefon an der vergilbten Wand des Flurs und wählte aus dem Gedächtnis eine Nummer. Das Rufzeichen ertönte, dann wurde abgenommen.
„Hier ist Annie Engelmann, die Hebamme“, sagte die dunkelhaarige Frau. „Ich möchte den Doktor sprechen.“
Es dauerte eine Weile, dann meldete sich eine brummige Stimme. „Hier Dr. Marasch. Was wollen Sie, Annie?“
„Sie haben doch Roswitha heute untersucht, Doktor. Wie steht’s mit ihrer Schwangerschaft? Was macht das Kind?“
Ein paar Augenblicke hörte die Frau nur den Atem des Mannes am anderen Ende.
Dann sagte er: „Halten Sie sich fest, Annie, Sie werden gleich dreimal Großmutter. Roswitha bekommt Drillinge. Das wird eine kleine Sensation in unserer Stadt werden.“
Es war der Frau, als erfasse sie ein Schwindel. Die Brut des Bösen, die kleinen Vampire, die Geschöpfe des Satans. Wegbereiter der Schwarzen Mächte. Roswithas Drillinge!
„Sind Sie noch da, Annie?“ kam die Stimme des Arztes aus dem Telefonhörer. „Das hat Sie umgehauen, was?“
„Hören Sie, Doktor“, antwortete die Frau. „Niemand darf etwas davon erfahren, daß Roswitha schwanger ist. Niemand. Wenn Sie auch nur einer Menschenseele davon erzählen, dann bekommt die Polizei einen Wink, und die Ärztekammer erfährt von den verbotenen Eingriffen, die Sie in Ihrer Praxis vornehmen. Und von den drei Frauen, die gestorben sind, weil Sie die Finger nicht von der Flasche lassen können. Von den Einstichen in Ihren Venen …“
„Sie sollten sich nicht über andere aufregen, Annie“, antwortete der Arzt verdrossen. „Sie nicht. Warum soll niemand von Roswithas Schwangerschaft erfahren?“
„Das geht Sie nichts an, Dr. Marasch. Halten Sie nur den Mund, für alles andere sorge ich.“
„Es bleibt mir ja wohl nichts anderes übrig.“ Der Arzt hängte ein.
Die schwarzhaarige Frau legte den Hörer auf und ging wieder hinauf in den zweiten Stock. In einem Zimmer, das neben dem lag, in dem sie die Seance abgehalten hatte, vertiefte sie sich in ein altes, ledergebundenes Buch.
Sie machte sich Notizen und flüsterte dabei vor sich hin.
„Bilsenkraut, Teufelswurz. Tollkirschensaft.“ Sie lachte leise. Die Worte fielen einzeln, in großen Abständen. „Der Saft einer gesottenen Kröte. Drei schwarze Alraunen. Kellerasseln und Nachtgetier.“
Plötzlich schlug sie das Buch zu. Unten in der Wohnung war ein Geräusch gewesen. Die Frau öffnete die Tür und rief ins Treppenhaus: „Roswitha! Roswitha! Komm herauf!“
Roswitha Engelmann, ihre Tochter, kam die Treppe herauf. Sie war ein schönes, schwarzhaariges Mädchen mit klaren, tiefblauen Augen. Die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter war offensichtlich, doch fehlte ihr deren kalte und böse Ausstrahlung völlig. Doch Annie Engelmann konnte auch freundlich und gütig erscheinen – so wie jetzt.
„Mein armes Kind“, sagte sie. „Dieser Schuft hat dich sitzengelassen. Mit Drillingen. Komm her zu mir, komm in meine Arme.“
Das Mädchen zuckte zusammen und wich zurück bis an die Wand. Angst stand in ihren Augen, Angst vor der Frau, die ihre Mutter war.
„Heinz ist kein Schuft“, antwortete sie. „Er hat mich nicht sitzengelassen. Seine Firma hat ihn nach Indien geschickt, um bei Radschahmandri am Godawari am Bau eines Kraftwerkes mitzuarbeiten. Du selbst hast mir verboten, ihm zu schreiben, daß ich schwanger bin, Mutter. Sonst wäre er längst hier.“
„Still Roswitha, kein
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