080 - Die Vampir- Oma und ihre Kleinen
Roemers. Sie lächelte. Ihr Gesicht bekam aber wieder jenen dämonischen Ausdruck, den Roswitha so sehr fürchtete.
„Gut, gut“, sagte sie. „Vielleicht wird aus dir doch noch etwas Vernünftiges, Roswitha. Los, fahren wir zum nächsten Haus.“
Die Hebamme bog mit dem Wagen um einige Ecken, fuhr ein Stück die Hauptstraße entlang, und dann nach rechts in die Töpfergasse. Vor einem Uhrenfachgeschäft hielt sie.
„Bleib du im Wagen sitzen“, sagte sie zu Roswitha.
Annie stieg aus. Sie stellte sich vor das erleuchtete Schaufenster, als sehe sie sich die Uhren und den Schmuck an.
Ihre Finger bewegten sich. Ihre Hände malten Figuren in die Luft, beschrieben magische Kreise. Dabei flüsterte sie: „Zauberschlaf und Höllengebot – bringe dieses Haus in Not.
Mach sie alle todesmatt – keiner rührt sich von der Statt.“
Anschließend ging sie zu dem Wagen zurück. „Geh jetzt hinein, Roswitha. Sie schlafen alle tief und fest.“
Roswitha sah zu den Fenstern im ersten Stock hoch. Hinter einem flimmerte es blaugrau, hinter einem anderen brannte Licht.
„Aber sie sind noch wach“, wandte sie ein. „Der Fernseher läuft noch.“
„Geh hinein!“
Roswitha gehorchte. Wieder nahm sie eines ihrer Babys aus dem Korb und stieg aus. Annie gab ihr zwei Schlüssel. Roswitha las flüchtig den Namen über dem Schaufenster, ohne ihn richtig wahrzunehmen.‚ Paul Finck & Sohn, Uhrmachermeister’.
Sie öffnete das Hoftor. Sofort schoß ein schwarzer Spitz bellend aus seiner Hütte, umsprang ihre Beine. Roswitha erschrak so, daß sie fast das Kind hätte fallenlassen.
Annie Engelmann trat neben ihre Tochter. Sie sah den Hund starr an und streckte den gespreizten Mittel – und Zeigefinger der rechten Hand gegen ihn aus. Der Spitz jaulte auf, als sei er getreten worden. Er kniff den Schwanz ein, floh in die Hütte und verkroch sich im hintersten Winkel. Dort winselte er nur noch leise.
„Na, was ist? Mach schon.“
Roswitha ging durch den Hof zur Hintertür und schloß sie auf. Im Hausflur brannte Licht. Roswitha stieg hinauf in den ersten Stock. Hinter einer der Türen hörte sie Stimmen, Schüsse. Anscheinend lief ein Fernsehkrimi.
Sie wollte das Haus verlassen, wollte weggehen, aber wie unter einem inneren Zwang öffnete sie eine der Türen. Auch dieser Raum war ein hübsches Kinderzimmer mit einem Kinderbettchen, Stoffiguren, einer bunt gemusterten Tapete. Roswitha Engelmann arbeitete schnell. Dabei lauschte sie hinaus auf den Flur. Sie hatte entsetzliche Angst, daß jemand sie überraschen könne.
Wieder zog sie ihrem Säugling die Sachen des Babys im Bettchen an, vertauschte die Kinder und eilte schnell hinaus. Sie hörte die Stimmen aus dem Fernseher im Zimmer, ging die Treppe hinunter und verließ das Haus. In ihrer Eile vergaß sie, die Tür wieder abzuschließen.
Annie Engelmann erwartete sie im Hof, zog sie an die Hauswand.
„Pst, leise.“
Ein Mann und eine Frau gingen auf der Straße vorbei. Roswitha hörte das Klicken der Absätze der Frau. Das Paar blieb vor dem Schaufenster des Uhrengeschäftes stehen und sah sich die Auslage an.
Der Mann sah flüchtig in den Wagen, der im Licht des Schaufensters stand. Er sah einen Korb auf dem Rücksitz, darüber eine Decke. Dann zog er seine Frau weiter, denn sie hatte begonnen, sich für einen hochkarätigen Ring zu interessieren, und er wußte, daß ihn dieses Interesse einige Scheine kosten konnte.
Der Mann sagte etwas. Die Frau lachte. Roswitha erkannte voller Schmerz, daß es das Lachen einer glücklichen, unbeschwerten Frau war. Dann verhallte das Geräusch der Absätze auf dem Gehsteigpflaster. Annie öffnete das Hoftor.
„Weiter.“
Die Frau und das Mädchen stiegen in den Wagen. Diesmal nahm Annie sich keine Zeit, das geraubte Kind zu betrachten. Sie legte es in den Korb. Das Kleine öffnete die Augen, begann zu schreien. Annie nahm eine Flasche aus dem Handschuhfach, träufelte ein paar Tropfen einer stark riechenden, wasserhellen Flüssigkeit auf einen Lappen.
Den Lappen hielt sie dem schreienden Kleinkind vor Mund und Nase. Das Quäken des Säuglings verstummte. Annie wiederholte die Prozedur vorsichtshalber bei den beiden anderen Babys.
Dann ließ sie den Motor an, fuhr zurück zur Hauptstraße. Von der Hauptstraße bog sie ins Industrieviertel vor der Stadt ab. Hier, zwischen den Fabrik – und Lagerhallen, war niemand auf der Straße. Annie folgte einem Wegweiser, auf dem‚ Spedition Möller’ stand. An einem dunklen Hof
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