0802 - Der Wächter
Gebeine, er trampelte über und durch sie hinweg, und unter dem starken Druck zerbrachen die Knochen knirschend wie dünne Hölzer. Einige von ihnen wurden sogar regelrecht gemahlen.
Suko wollte den Knochenhaufen nicht durchschreiten. Deshalb schlug er einen Bogen, lief dabei schneller und behielt die Distanz zum Ritter bei.
Nicht grundlos hatte der die Schale in die Hand genommen. Er transportierte sie sehr vorsichtig, und das Quietschen der alten verrosteten Rüstung störte ihn nicht.
Sie näherten sich einem anderen Ziel. Suko konnte noch nichts erkennen, aber vor sich und auch vor dem Licht sah er etwas Helles. Er glaubte sogar, ein Rechteck ausmachen zu können, das war wohl der Wunschtraum, aber der wurde Realität, denn auf einmal sah er die Wand.
Der Inspektor war so überrascht, dass er für einen Moment nicht weiterging. Er blieb auf der Stelle stehen, den Blick gegen das helle Rechteck gerichtet und er dachte daran, dass er endlich am Ziel seiner Wünsche stand. Nicht John, nicht Bill, sondern er hatte das Glück gehabt. Augenblicklich relativierte er das Wort Glück, denn was er hier sah, das war wohl auch den anderen Menschen gezeigt worden, deren Gebeine als bleiches Knochenmuster hinter ihm auf dem Boden vermoderten.
Es gehörte schon viel dazu, Suko aufgeregt werden zu lassen. In diesem Moment war er es, auch deshalb, weil er eben so entscheidend für ihn war.
Noch konnte er nicht viel erkennen, denn die Wand war einfach nur mehr als heller Schatten zu sehen. Der Drang, näher an sie heranzugehen, überkam ihn wie ein Sturmwind. Er musste sie einfach sehen. Ob der andere es wollte oder nicht, er ging weiter, wobei er gleichzeitig nach rechts schaute und den Ritter im Auge behielt.
Der rührte sich nicht. Das Schwert war gesenkt, er wollte nicht angreifen und Suko die Chance geben, die Wand aus der Nähe zu sehen. Das Licht aus der Schale reichte einfach nicht aus, deshalb holte Suko seine kleine Lampe hervor. Er schaltete sie ein.
Es war okay, es war alles okay.
Blasse Zeichnungen huschten durch den Strahl, zumindest sah es für Suko so aus. Motive, mit denen er im Moment nichts anfangen konnte. Er sah einen Kopf, eine Gestalt, eine Fratze ebenfalls, und plötzlich sah er auch ein zweites Gesicht.
Es mochte Zufall gewesen sein, dass es getroffen worden war, aber das Gesicht kam ihm bekannt vor, obwohl es nicht zu den vordergründigen Zeichnungen gehörte.
Es befand sich mehr im Hintergrund, es steckte tatsächlich in einem Helm.
Den gleichen Helm trug der Wächter.
Suko schaute zu ihm, dann wieder zu dem Gesicht, das auf der Wand noch normal aussah und nicht aus einer aufgequollenen klumpigen Masse bestand.
Waren beide identisch?
Der Ritter nickte.
Er hatte erfasst was Suko dachte, der jetzt noch näher an die Wand herantrat und das Gesicht dabei nicht aus dem Lichtkreis entließ. Es war da, und es war dunkelhäutig. Es gehörte einem Schwarzen, einem Menschen aus dem Süden.
Wieder dem Süden…
Sukos Gedanken überschlugen sich. Der Süden konnte Äthiopien bedeuten, denn dort war die Hautfarbe der Menschen schon anders als im Norden. Nicht so negrid, aber auch nicht weiß. Irgendwo lagen die Äthiopier dazwischen.
Ein Reich voller Rätsel.
Aber auch das der Königin von Saba, und für ihn schloss sich der Kreislauf zu Salomon.
Er, die Königin und die Lade!
Waren das die drei Punkte, die das magische Dreieck bildeten?
War das der Hinweis, den er auf dieser Wand finden würde?
Das eine Gesicht war zu wenig. Er musste die gesamte Wand absuchen, brauchte dafür Licht. Der Taschenlampenstrahl wanderte über die Wand hinweg.
Suko wunderte sich, woher der lange Schatten kam, der seinen Weg von unten nach oben fand.
Dann schrillten in seinem Kopf die Alarmsirenen. Keinen Augenblick zu früh, denn der Schatten konnte nur ein Schwert sein, das angehoben worden war, und der Ritter stand nun mal schlagbereit und schräg hinter ihm.
Der Schatten veränderte sich, nahm eine Schräglage ein. So führte auch ein Henker sein Schwert, wenn er dem Delinquenten den Kopf abschlug. Suko fühlte sich nicht so.
Er sprang zur Seite, wirbelte herum und hörte noch, wie die Klinge durch die Luft pfiff…
***
Im nächsten Moment verwandelte sich die Düsternis in dieser gewaltigen Gruft in ein schnelles, irres Spiel aus Licht und Schatten.
Reflexe huschten über Boden und Wände hinweg, die Körper waren nur Zerrbilder ihrer selbst, und die Klinge hämmerte mit einem knirschenden Geräusch auf
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