0806 - Die Hexe von Köln
verriet, was er von einer solchen Schlussfolgerung hielt, trotzdem setzte er sich in Bewegung und folgte der Französin im Laufschritt.
Der Professor unterdrückte eine Verwünschung in dem Gotteshaus, als ein paar Besucher aufmerksam wurden und zischend um Ruhe nachsuchten. Er erhaschte einen Lichtschein, der die Treppenstufen herauffiel, aber sofort wieder erlosch.
Nur dort unten konnte die fliehende Frau verschwunden sein, aber wieso… zeigte das Amulett auf einmal gar nichts mehr?
Die Zeitschau war erloschen, die Bilder verblasst, und es gelang ihm nicht, sie zu reaktivieren. Merlins Stern rührte sich nicht mehr.
»Nicole!«, rief er hinter seiner Gefährtin her, ohne sich darum zu kümmern, dass dadurch noch mehr Leute auf die ungewöhnlichen Vorgänge aufmerksam wurden. Zu spät, die kurze Ablenkung hatte ausgereicht, Nicole aus den Augen zu verlieren.
Hunderte von Kerzen brannten auf der anderen Seite des Altars vor einer Marienstatue und verwandelten die unfreiwillige Prozession in einen Geisterzug unkenntlicher Silhouetten.
Zamorra konnte nur vermuten, dass Nicole dem Verlauf des Chorumgangs gefolgt war. Drohte ihr womöglich Gefahr? Also hinterher?
Unsinn! Mit einer Katze würde sie allein zurechtkommen, auch wenn ihm die Art und Weise von deren Auftauchen nicht gefiel.
Kurz dachte er an jene Katze, die sich zweimal im Château Montagne gezeigt hatte und von der niemand sagen konnte, woher sie kam. Sie schien irgendwie mit den 13 Siegeln in Verbindung zu stehen. Doch das alles war für Zamorra noch ein Rätsel, das er nicht durchschauen konnte.
Er konnte nur absolut sicher sein, dass die beiden Katzen nichts miteinander zu tun hatten.
Ein tiefes Seufzen kam aus der Tiefe und riss Zamorra aus seiner Erstarrung. Es klang so, als sei es direkt für seine Ohren bestimmt.
Drei asiatische Touristen mit Mini-Cams ignorierend, sprang er über die Absperrung, die das in die Tiefe führende Loch einrahmte. Auch wenn er die Gläubigen nicht vor den Kopf stoßen wollte, konnte er sich keine Pietät leisten, wenn dunkle Mächte im Kölner Dom ihr Unwesen trieben. Selbst Kardinal Ratzinger, der im katholischen Köln ansässige Vorsitzende der Kongregation für Glaubensfragen, hätte ihm da zugestimmt.
Zamorra nahm die fünfzehn Stufen mit drei Sätzen, sein Amulett noch immer umklammernd. Wenn er hier unten wirklich auf einen schwarzmagischen Gegner traf, konnte er auf die Fähigkeiten von Merlins Stern nicht verzichten. Die aus metallenen Stäben bestehende Tür stand halb offen, und er hatte das untrügliche Gespür, dass sie erst wenige Minuten zuvor von jemandem passiert worden war.
Der Gang, in den Zamorra trat, war dunkel. Nur in der Ferne glomm ein lockendes Licht.
***
Einige Wochen zuvor III.
Schaurig pfiff der Wind, peitschte Regen und Laub über die Brücke und klang in Samiras Ohren wie hämisches Gelächter. Sie hatte das Gefühl, dass die ganze Welt sie auslachte und sie aus glühenden Augen anstarrte. Doch die roten Flecken in der Dunkelheit waren keine Augen, sondern Signale für die Züge.
Samira klammerte sich an das Gitter, das den Gehweg von den Gleisen trennte. Es war zu hoch, um einfach darüber hinwegzusteigen. Um auf die andere Seite zu gelangen, musste sie hinüberklettern. Sie stellte sich vor, wie sie es überwand und sich auf die Schienen stellte, die Augen schloss und wartete, bis ein Zug sie erfasste und ihren Körper zerschmetterte.
Ob es wohl sehr weh tat?
Samira schüttelte den Kopf und ging zum Brückengeländer. Als sie die Unterarme darauf legte, konnte sie in die Tiefe schauen. Der Rhein war schwarz, nur an seinen beiden Ufern spiegelten sich die Lichter der Stadt.
Niemand außer ihr war hier, und das war gut so, denn sie wollte keinen Zeugen. Wenn sie diese Welt verließ, war das eine persönliche Sache, die keinen anderen Menschen etwas anging. Schon gar nicht Freddie. Sie hasste ihn, und wenn dies der einzige Weg war, vor ihm zu fliehen, würde sie ihn gehen.
Immer schlimmer wütete das Wetter, doch Samira spürte weder die Kälte noch den Regen, der ihr ins Gesicht klatschte und sich mit ihren Tränen zu einem Film vermischte. Ihre Gedanken kreisten nur um eine Frage: Welches Ende war weniger schlimm? Von einem Zug überrollt zu werden, oder in einem nassen, kalten schwarzen Grab zu ertrinken und rheinabwärts zu einem unbestimmten Ziel getragen zu werden?
Letzten Endes war es gleichgültig, denn tot war tot. Als Kind hatte sie immer geglaubt, dass Monster
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