0808 - Das unheimliche Herz
Leben erwachten und aus den Gräbern kletterten.
Trotz der brütenden Hitze flog ein Schauer über ihr Gesicht und auch über ihren Rücken, als sie daran dachte. Sie hielt die Augen für einen Moment geschlossen und wünschte sich weit weg. Schon als Kind hatte sie dies immer getan. Oft genug war sie in schwierige Situationen hineingeschlittert, und sie hatte gelernt abzuschalten. Sie hatte die Lage nicht mehr akzeptieren wollen, sie war davon ausgegangen, dass sie sich dank ihrer Fantasie in eine andere Welt retten konnte, und das war ihr eigentlich immer gut gelungen.
So auch jetzt.
Nur nicht die Augen öffnen und mit der Realität konfrontiert werden. Immer nur an die schönen Dinge des Lebens denken, sich einfach treiben lassen und…
Poch…
Da war es wieder, und Kiki wurde brutal aus ihren herrlichen Fantasien herausgerissen. Sie schrak zusammen, der kalte Schauer blieb, er fraß sich fest, die Furcht war wie eine Klammer, die auch ihr Herz umgab, und sie konnte kaum noch atmen.
Sie öffnete die Augen.
Das normale Bild kam ihr vor wie eine fremde Welt. Nur allmählich verschwanden die Szenen aus ihrer Fantasie, sie lösten sich auf und schmolzen einfach weg.
Die Vorhölle war wieder da.
Aber nicht das Geräusch.
Und doch hatte sie es gehört!
Allmählich spürte sie, wie sich ihr Magen zusammenzog. Sie wusste nicht weiter. Und sie wusste auch, wie die folgenden Reaktionen ausfallen würden. Schauer würden sie durchrieseln, Schauer der Angst.
Es passierte.
Kiki Lafitte fing an zu zittern. Die Zähne schlugen zusammen, sie hörte das Klappern, als wäre sie ein Skelett, und vor ihren Augen tanzten Schatten, die mal schwarz und dann wieder dunkelrot waren, als hätte man die schwarzen mit frischer Blutfarbe überpinselt.
Sie stöhnte auf.
Kiki saß noch immer da. Bis vor wenigen Minuten hatte ihr das nichts ausgemacht, jetzt aber spürte sie den Druck der Bohlen und die harte Wand in ihrem Rücken. Da war alles normal geblieben und doch wieder anders verlaufen. Sie konnte sich selbst nicht einordnen, sie war von der Rolle, und sie hätte am liebsten die Scheine genommen und sie den Männern zurückgegeben.
Doch die waren verschwunden, hatten sie allein in dieser Vorhölle gelassen, ohne eine Chance, sich daraus befreien zu können. Wenn sie versuchte, sich gegen die Wände zu werfen, um diese aufzubrechen, würden sie es hören, denn sie konnte sich vorstellen, dass sie in der Nähe blieben und die Hütte beobachteten.
Kiki Lafitte konnte nicht mehr aufdem harten Boden sitzen bleiben. Sie musste etwas tun, aufstehen, vielleicht eine kleine Wanderung unternehmen, um sich auf gewisse Dinge einzustellen. Möglicherweise konnte sie auch durch dieses Gehen ihren eigenen Frust besiegen.
Schwungvoll kam sie hoch und stellte sich hin.
Zu schnell, denn der leichte Schwindel war nicht zu unterdrücken.
Er hielt sie gepackt. Sie musste sich abstützen und warten, bis er vorbei war.
Endlich ging es ihr besser. Zumindest körperlich, und sie atmete einige Male tief durch. Leider war die Luft schon ziemlich verbraucht, man hätte sie austauschen müssen.
Kiki war zweiundzwanzig, vom Leben nicht verwöhnt, doch sie nahm sich vor, so schnell nicht zu sterben. Sie würde kämpfen, sie wollte sich nicht fertig machen lassen, und sie hoffte, der Vorhölle zu entkommen.
Den Kopf hielt sie gesenkt. Ihre Augen waren genau auf die Stelle gerichtet, wo sie das Pochen gehört hatte. Ungefähr die Mitte des Verschlages, wo es auch nichts Besonderes gab, sondern die Bretter ebenfalls dicht an dicht lagen.
Keine Erhebung, keine Einkerbung, alles war so schrecklich normal. Es konnte für dieses Geräusch keinen Grund geben, und dennoch war es erklungen.
Warum?
Sie ging den ersten Schritt auf das Ziel zu.
Nichts geschah.
Kiki machte den zweiten Schritt!
Plötzlich zuckte sie zusammen. Den Grund kannte sie selbst nicht, aber da war etwas gewesen. Diesmal kein Pochen, sondern mehr ein Kratzen oder Schleifen.
Auch von unten…
Sie begriff die Welt nicht mehr. Mitdem Pochen hatte sie sich noch abfinden können, mit dem Kratzen nicht, denn nun hatte sie das Gefühl, als läge unter den Brettern tatsächlich eine lebende Leiche verborgen, die nur darauf wartete, befreit zu werden.
War es das, was Kiki sollte?
Nach dem dritten, sehr vorsichtig gesetzten Schritt blieb sie stehen, beugte den Oberkörper vor und legte ihre Handflächen dabei gegen die Oberschenkel.
Sie schaute nieder.
Es war genau der Fleck oder die
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