0810 - Der Geist des Hexers
wegen seines Sohnes vergoss.
»Ich fühle mich nicht einmal besser, Rodney«, sagte er.
Turon ließ sich Zeit mit der Antwort. Er knickte einige Grashalme ab, warf sie fort und legte die Hände aufeinander. »Das glaube ich dir, auch ich fühle mich schlecht, aber in mir steckt nicht das Gefühl, ein Mörder zu sein.«
»Tatsächlich nicht?«
»Nein.«
»Was bist du dann?«
»Ich habe dem Bösen eine Niederlage zugefügt. Ich konnte Henry St. Clair nicht mehr als Menschen betrachten. Erinnere dich an die düsteren Reden, die er gehalten hat. Er hat uns bekehren wollen, doch es ist die falsche Richtung gewesen. Er konnte es nicht lassen, er steckte bereits zu tief im Schlamm. Es ist schlimm, das weiß ich genau, aber können wir es ändern? Haben wir nicht tun müssen, was getanwerden musste? Sind wir nicht nach den alten Gesetzen vorgegangen, frage ich dich?«
»Ja, das stimmt.«
»Und genau deshalb sollten wir auch kein schlechtes Gewissen haben, mein Freund.«
Jesse lächelte traurig. »Sieger fühlen sich anders«, sagte er leise.
»Das stimmt. Auch das Volk Israel wird sich nicht immer gut gefühlt haben, als Moses es aus Ägypten führte. Das Böse war immer dabei. Als er auf dem Heiligen Berg war, da tanzten sie um das goldene Kalb. Für mich ist dies das Sinnbild überhaupt. Ja, das Gleichnis von Gut und Böse, mein alter Freund. So lange die Welt bestehen wird, ändert sich nichts. Es wird immer wieder das goldene Kalb geben, um das sich die Menschen scharen, aber wir können im Kleinen etwas dagegen tun. Es ist unsere Pflicht gewesen. Keiner von uns weiß, was noch folgen wird und ob Baphomets Kraft ausreicht, um trotz allem zu überleben. Wir haben das Herz begraben, und nicht nur ich frage mich, was mit der Seele geschehen ist. Wie weit ist sie schon von den Mächten des Bösen beeinflusst worden? Kannst du mir eine Antwort geben, Jesse?«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Eben, ich kann es auch nicht. Deshalb sollten wir uns nicht mehr die Köpfe zerbrechen und alles so hinnehmen, wie es sich entwickelt hat.« Turon wechselte den Gesprächsstoff. »Wie weit sind die anderen?«
»So gut wie fertig.«
»Dann lasst uns diesen unheiligen Flecken Erde verlassen. Er ist verflucht, wahrscheinlich wird er für alle Zeiten von bestimmten Menschen gemieden werden, denn sie wissen um das Böse. Ich aber habe noch eine große Aufgabe vor mir.« Rodney nickte vor sich hin, ohne darauf einzugehen, was er damit meinte.
Er hatte den alten Jesse neugierig gemacht, und dieser fragte ihn:
»Was willst du noch erreichen?«
»Irgendwann werde ich sterben«, erklärte der Mann versonnen.
»Das müssen wir alle.«
»Ja, es stimmt, mein Freund. Du hast völlig Recht. Aber wenn ich sterbe, möchte ich etwas hinterlassen haben. Ich werde alles aufschreiben, was wir erlebt haben. Ich möchte die Nachwelt auch vor diesem Ort warnen. Niemand soll ihn betreten, denn ich will nicht, dass er in den Mahlstrom Baphomets hineingerät.«
Jesse musste sich räuspern. »Ich denke da etwas anders. Ich glaube nicht, dass etwas überleben wird. Das Herz tief in der Erde wird verwesen, niemand wird mehr daran denken und…«
Rodney Turon hob die Hand. »Nein, nein, da irrst du dich. Der Geist und die Macht Baphomets sind schon tief in Henry St. Clair eingedrungen. Er war von ihm durchseucht, und er wird auch das Herz des Mannes in seinen Besitz gebracht haben.«
»Dann wird es nicht verwesen?«
»Wie kommst du darauf?«
Jesse lächelte etwas bitter. »Ich habe es deinen Worten entnehmen können.«
Rodney Turon schaute gegen den dunklen Himmel, als könnte er dort die Antwort ablesen. »Ich weiß es nicht, ich weiß gar nichts mehr. Ich muss erst Zeit haben, um nachzudenken, dann aber werde ich alles aufschreiben. Irgendwann wird ein Mensch diese Schriften einmal entdecken und hoffentlich die Lehren daraus ziehen.«
»Kommt es dabei nicht auf den Menschen an?«
»Leider«, murmelte Rodney leiser. »Schon jetzt können wir uns wünschen, dass es der Richtige entdeckt. Geraten die Schriften in die falschen Hände, kann es wieder zu grauenvollen Taten kommen. Dann wird der Geist Baphomets erneut zuschlagen und keinem eine Chance lassen. Genau davor habe ich große Angst.«
Jesse schwieg. Auch Rodney Turon, redete nicht. Es war genug gesagt worden. Aus dem Hintergrund hörten sie das Gemurmel der Stimmen. Die Freunde wurden allmählich unruhig. Keiner dachte daran, an diesem unheiligen Ort eine Nacht zu verbringen.
Rodney
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