0810 - Stirb in einer anderen Welt
sie auch diese Tür auf.
Pater Ralph saß am Fenster und sah hinaus in seinen kleinen Garten, in dem er allerlei Kräuter züchtete. Er wandte sich nicht einmal zu Duval um, als er sagte: »Tritt ein, meine Tochter. Ich habe dich erwartet. Wovor fürchtest du dich, dass du in meinem Haus eine Waffe führst?«
Sie sicherte die Pistole wieder und steckte sie ins Holster zurück.
»Ich dachte, Sie würden bedroht, Pater.«
»Niemand kann mir in meinem Haus drohen«, sagte er sicher. »Soviel Sorge um mich? Und ausgerechnet von dir, Tochter? Womit habe ich das verdient?«
Duval sah ihn nachdenklich an. Sie versuchte Spott oder Sarkasmus in seinen Worten zu finden. Aber da war nichts.
»Du schweigst. Warum? Fällt dir nichts Gescheites ein?«
Sie räusperte sich. Plötzlich saß ein Kloß in ihrer Kehle. Von dem Mann im Sessel ging eine Aura der Ruhe und Sicherheit aus, wie sie sie noch bei keinem Menschen jemals gespürt hatte. Dieser Mann, so wurde ihr klar, war etwas Besonderes.
»Was kommt jetzt?«, fragte er. »›Vater, ich habe gesündigt, bitte nimm mir die Beichte ab‹?«
»Nein«, sagte sie schwerfällig.
»Es hätte auch nicht zu dir gepasst. Schaden könnte es trotzdem nicht. Der Herr ist dir näher, als du denkst, und er wird dich für alle deine Taten zur Rechenschaft ziehen.«
»Momentan ist es wichtiger, dass mein weltlicher Herr mich nicht zur Rechenschaft zieht.« Sie räusperte sich mehrfach, um den Kloß in ihrem Hals loszuwerden. »Wissen Sie, was er mir aufgetragen hat?«
Pater Ralph schüttelte den Kopf. Jetzt erst drehte er sich langsam in seinem Sessel um und sah seine Besucherin an. Zu ihrem Outfit äußerte er sich nicht. Nicht einmal ein Muskel in seinem Gesicht zuckte.
»Du wirst es mir aber sagen«, vermutete er. »Oder bist nur zu mir gekommen, um mich in Unsicherheit zu versetzen?«
»Zamorra will, dass ich Sie ins Château bringe«, sagte Duval. »Dort wird er Sie töten.«
Ralph schwieg.
»Glauben Sie mir nicht?«, fuhr Duval ihn an. »Aber es stimmt. Es gibt zwei Möglichkeiten: ich bringe Sie mit, damit er Sie töten kann, oder er wird mich töten.«
»Er schätzt dein Leben also nicht mehr besonders. Ich habe es geahnt«, sagte Ralph. »Es musste irgendwann dazu kommen. Dieser Mann ist ein unersättlicher Moloch. Er wird an seinem eigenen Machthunger zugrunde gehen.«
»Danach sieht es derzeit nicht aus«, murmelte sie. »Eher danach, dass er stärker denn je wird. Ich weiß nicht, was er damit bezweckt, aber er schluckt Lebensenergie. Er tötet seine Opfer auf furchtbare Weise und trinkt ihr Leben in sich hinein. Er ist ein Dämon.«
»Er fühlt sich wie ein Dämon«, korrigierte der Pater sanft. »Aber er begreift nicht, dass er zum Menschsein verurteilt ist. Und als solcher ist er in der Hand des Herrn. Der Herr wird über ihn richten, wenn die Zeit gekommen ist.«
»Aber dann kann es für einen von uns zu spät sein«, stieß Duval hervor. »Einen von uns beiden wird er ermorden.«
»Nein, denn du hast eine dritte Möglichkeit entdeckt«, sagte Pater Ralph. »Sonst wärest du sicher nicht hierher gekommen.«
Sie schnappte nach Luft.
»Du weißt, dass ich niemals gehen würde, um mich einfach töten zu lassen. Du wußtest auch, dass meine Tür jedem Menschen immer offen steht. Nun sage mir, weshalb bist du hergekommen? Wenn du mich mit Gewalt zu ihm bringen wolltest, würdest du deine Pistole auf mich richten und mich notfalls auch verletzen, um mich zum Gehen zu nötigen. Aber du tust es nicht. Also sage mir, warum bist du hier?«
Er hat mich durchschaut , begriff sie.
»Pater, ich brauche Ihre Hilfe.«
***
»Du willst ihn töten«, vermutete Pater Ralph. »Dabei kann ich dir nicht helfen. Lass ab von dem unseligen Plan. Du fügst deinen Missetaten nur eine weitere hinzu und verringerst deine Chance weiter, dein Seelenheil zu finden.«
Duval zuckte mit den Schultern. »Mein Seelenheil«, wiederholte sie.
»Daran brauche ich ohnehin keinen Gedanken mehr zu verschwenden, nach alldem, was ich getan habe. Sogar einen Pakt mit dem Satan habe ich geschlossen.«
»Es ist nie zu spät, und der Herr freut sich mehr an einem reuigen Sünder als einem immerfort Braven«, sagte der Pater. »Bereue, was du tatest, und geh einen anderen Weg. Den Weg der Buße.«
»Das ist nicht so einfach, wie Sie denken.«
»Ich habe auch nicht gesagt, dass es einfach sei. Es ist niemals einfach, dem Weg des Herrn zu folgen. Es ist ein Weg voller Dornen, voller Schmerzen und
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