0810 - Stirb in einer anderen Welt
hinübergehen«, sagte sie leise.
Zamorra nickte. »Und ich habe für die ganze Sache bereits einen Plan.«
***
In der Spiegelwelt
Duval war die Serpentinenstraße zum Dorf hinunter in geradezu halsbrecherischem Tempo gefahren. Aber sie kannte die Kurven und Fliehkräfte, und sie kannte das Fahrwerk ihres Wagens. Schon von weitem war zu sehen, dass auf der Hauptstraße wenig los war - wie fast immer. Der Fernverkehr benutzte eher die Autobahn. Also drosch sie den Wagen mit einem Tempo aus der Seitenstraße in den größeren Verkehrsweg, das sie mit ihrem früheren Golf nie hätte riskieren dürfen. Der BMW drohte zwar ganz kurz mit dem Heck auszubrechen, aber sie hatte ihn sofort wieder im Griff.
Erst als sie das Dorf erreichte, trat sie auf die Bremse und stoppte den Wagen am Straßenrand. Sie stieg aus und sah zum Château hinauf.
Es konnte nicht mehr lange gutgehen, das spürte sie deutlich. Sie musste eine Entscheidung treffen. So bald wie möglich.
Warum nicht jetzt?
Sie war schon einmal zur Verräterin geworden und hatte mit Lucifuge Rofocale gegen Zamorra agiert. Er wusste es sicher längst. Warum er sie noch nicht zur Rechenschaft gezogen hatte, darüber konnte sie nur spekulieren. Normalerweise pflegte er jeden zu bestrafen, der sich ihm in den Weg stellte oder sogar gegen ihn arbeitete.
Vorhin, im »Zauberzimmer«, hatte sie schon geglaubt, jetzt sei es soweit, als er klar machte, dass ein Menschenopfer allein ihm nicht reichte. Sie hatte befürchtet, er würde nun auch sie abmetzeln.
Aber er hatte Pater Ralph ausgewählt, und Duval sollte ihn ins Château bringen.
Sie glaubte nicht an Ralphs Gott, und es hatte sie bislang nie berührt, was die beiden Männer für Sträuße gegeneinander auszufechten hatten. Aber die Vorstellung, dass sich Ralph unter dem Opfermesser Zamorras die Seele aus dem geschundenen Körper schrie, flößte ihr Unbehagen ein.
Pater Ralph oder Mathieu…
Einen würde Zamorra ermorden. Und Duval war auf irgendeine Weise daran beteiligt.
Immer noch sah sie zum Château Montagne hinauf. Sie dachte an die vielen Annehmlichkeiten, die sie an Zamorras Seite genossen hatte. Es war angenehm, an der Macht teilzuhaben.
Aber das war so oder so vorbei. Entweder heute, morgen oder irgendwann in nächster Zukunft.
Es ist eine Art Abschied , dachte sie. Es wird ein Trennstrich. Und vielleicht führt er mich auch über die Schwelle des Todes.
Aber dazu war sie noch nicht bereit. Sie wollte leben.
Langsam schloss sie die Augenlider und ließ den Anblick des Châteaus verblassen. Dann wandte sie sich um und stieg wieder in ihren BMW.
Dann erst öffnete sie die Augen wieder.
Vor sich sah sie das Dorf.
Sie startete den Motor und rollte mit für sie ungewöhnlich geringer Geschwindigkeit in den Ort hinein.
***
Wo der Pater wohnte, wusste sie natürlich. Allerdings zögerte sie kurz, als sie an der Dorfkneipe und der kleinen Kapelle vorbeirollte. Er konnte darin irgendetwas vorbereiten, jemandem die Beichte abnehmen, oder er konnte in der Gaststätte sitzen und bei einem Schoppen Wein mit den Dörflern plaudern.
Nun, das konnte sie immer noch prüfen, wenn sie ihn zuhause nicht antraf.
Schließlich stoppte sie vor dem kleinen Häuschen. Sie stieg aus und schritt der Haustür entgegen. Im Clipholster am Gürtel ihrer engen Lederjeans steckte eine Pistole. Die Lederjacke trug sie auf blanker Haut und offen. Wenn dem Pater ihr martialisch-freizügiger Auftritt nicht gefiel, war das sein Problem.
Die Haustür stand ein paar Zentimeter weit offen. Gerade so, als warte Pater Ralph auf sie. Aber er war kein Hellseher.
War hier irgendetwas passiert, was nicht hätte sein sollen? In Filmen fand man hinter offenen Haus- oder Wohnungstüren meist eine Leiche. Was, wenn Ralph doch eine Vorahnung hatte und Selbstmord beging, um dem ihm von Zamorra drohenden Schicksal zu entgehen?
Aber Selbstmord passte nicht zu einem gläubigen Christen. Der Herr gibt, und der Herr nimmt. Es war nicht an den Menschen, das von Gott geschenkte Leben vorzeitig zu beenden. Nicht das eigene und nicht fremdes Leben.
Also mochte sich hinter der offenen Tür etwas anderes verstecken. Ein Einbrecher vielleicht?
Duval schob die Tür mit dem Handrücken weiter auf. Dann stand sie in einem relativ dunklen Hausflur. Er war klein, Türen führten rechts, links und geradeaus in die angrenzenden Zimmer. Die Tür geradeaus stand ebenfalls einige Zentimeter weit offen.
Duval zog die Pistole und entsicherte sie. Dann schob
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