0813 - Der Schrecken vom Mekong-Delta
Drachen sind nicht geizig, wenn es darum geht, jemanden in ihre Finger zu bekommen. Für die Belohnung würde ich meine eigene Großmutter verraten!«
»Dann kann es ja nicht allzu viel sein!«
»Sie müssen es ja wissen«, brummte Jenkins und nahm einen tiefen Zug. »Also, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches? Sie wollten dem lieben Onkel Rupert doch sicher nicht einfach nur mal guten Tag sagen?«
»Ganz sicher nicht!« Jenkins glaubte, fast ein Lächeln auf Chin-Lis Gesicht zu sehen. Aber vermutlich hatte er sich getäuscht. »Ich muss Meister Shiu sprechen.«
Vor Schreck verschluckte sich Jenkins an seinem Zigarettenrauch. Er musste so heftig husten, dass er Sterne sah. »Sie müssen was?«
»Sie haben mich verstanden.«
»Sie sind echt irre, Kleine!«
Aber das war ja nichts Neues.
***
Mekong-Delta
Sie saßen im größten Raum der Hauptbaracke um einen Holztisch und aßen ein einfaches Mahl. Thanh sagte kaum etwas. Stattdessen spielte er so angespannt mit seinem Taschenmesser, dass Zamorra befürchtete, er könne sich die Klinge aus Versehen in den Handballen jagen. Phuong war das feindselige Verhalten ihres Landsmanns offenbar zutiefst peinlich. Sie sagte zwar nichts, verdrehte aber immer wieder genervt die Augen.
»Wie viele Menschen sind nach dem Unfall verschwunden?«, fragte Nicole, während Thanh die Klinge in das letzte Stück Hühnerfleisch stieß und es genüsslich schmatzend hinunterschlang.
»13. Drei von ihnen haben ebenfalls auf der Baustelle gearbeitet, die anderen leben hier. Die Arbeiter bleiben inzwischen zu Hause, obwohl die Provinzregierung auf der sofortigen Wiederaufnahme der Arbeit besteht. Sie haben Angst!«
»Sie werden schon wieder zurückkommen, wenn Ihnen der Magen knurrt. Und wenn die nicht wollen, gibt es noch genügend andere, die zu Hause hungrige Mäuler zu stopfen haben«, sagte Thanh verächtlich.
»Mag sein, aber dann werden nur noch mehr Menschen verschwinden«, giftete Phuong zurück.
»Gibt es jemanden, der etwas gegen diese Brücke haben könnte?«, fragte Zamorra. »Umweltschützer zum Beispiel, oder sonst jemanden, der Interesse daran hätte, das Projekt zu sabotieren?«
»So etwas haben wir hier nicht. Das vietnamesische Volk weiß, dass die Vorhaben der Regierung nur seinem eigenen Wohl dienen.«
»Diesen ideologischen Quatsch können Sie auf Ihren Parteitagen erzählen! Uns können Sie damit nicht beeindrucken«, fuhr Nicole den Geheimdienstmann genervt an.
»Aber er hat Recht«, sagte Phuong leise. »Die Brücke ist eins der wichtigsten Entwicklungsprojekte der letzten Jahre. Sie bringt Arbeitsplätze und unterstützt den Tourismus. Die Umweltschäden sind gering. Es gibt niemanden hier, der etwas dagegen einzuwenden hätte. Es muss auch niemand umgesiedelt werden. Die Menschen hier können weiterleben wie bisher.«
»Was ist Ihre Meinung, Thanh?«, fragte Zamorra. »Wer steckt Ihrer Meinung nach hinter den Vorkommnissen der letzten Wochen?«
»Schmuggler«, sagte der Geheimdienstmann. »Wir sind nur einen Katzensprung von Kambodscha entfernt. Mädchen, Waffen, Drogen - alles, was irgendwie Geld bringt, wird in die eine oder andere Richtung über die Grenze verschoben.«
»Und selbst so ein harter Hund wie Sie kann sie nicht daran hindern«, stichelte Nicole. »Lässt sich die Grenze nicht besser kontrollieren?«
Thanh lachte freudlos. »Das hier ist unwegsames Gebiet. Die Amerikaner haben es trotz massiger Bombardements nie geschafft, den Ho-Chi-Min-Pfad zu unterbrechen, über den der Vietcong aus dem Norden mit Nachschub versorgt wurde. Wie sollen wir da ein paar zu allem entschlossene Schmuggler aufhalten?«
»Aber warum sollten Schmuggler harmlose Arbeiter und Reisbauern töten? Ihr größtes Interesse dürfte es doch sein, nicht aufzufallen«, wandte Zamorra ein.
Thanh hob abwehrend die Hände. »Was weiß ich, was im kranken Hirn so eines Verbrechers vorgeht. Vielleicht haben diese Bauern etwas gesehen, und die Schmuggler können keine Zeugen gebrauchen. Dazu kommt noch ein spektakulärer Unfall mit weiteren Toten, und schon sind diese abergläubischen Bauern davon überzeugt, dass es hier spukt. Albernes Geschwätz!«
Zamorra war nicht überzeugt.
»Wo sind die Leichen?«
Der Geheimdienstmann zuckte die Schultern. »Die tauchen schon wieder auf, oder sie rotten auf ewig auf dem Grund des Flusses vor sich hin.«
Der Parapsychologe sah auf die Uhr. »Es ist spät. Wir sollten uns hinlegen. Nicole und ich werden abwechselnd Wache
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