0813 - Der Schrecken vom Mekong-Delta
sah er auf die enge Öffnung, in der das braune Wasser des Mekong hin und her schwappte. Sie war kaum breiter als der Eingang zum Tunnelsystem, durch den er schon nur mit Mühe gekommen war.
»Keine Sorge, wir schieben, wenn du stecken bleibst«, grinste Nicole.
»Darum will ich auch bitten«, sagte Zamorra. Er holte Luft, tauchte mit dem Oberkörper in die Schleuse und zog sich dann ganz hinein. Das Wasser war kühler als erwartet. Und es war so trübe, dass er kaum die Hand vor Augen sehen konnte.
Schnell kämpfte sich Zamorra durch den engen Tunnel, bis er das offene Wasser erreicht hatte. Für einen Moment wusste er nicht, wo oben und unten war, doch dann sah er in einiger Entfernung das helle Schimmern der Wasseroberfläche. Mit kräftigen Stößen schwamm der Dämonenjäger darauf zu.
Zu spät bemerkte er den großen, dunklen Schatten, der über ihm in seine Richtung schoss. Bevor Zamorra nach dem Blaster greifen konnte, packte ihn etwas und riss ihn nach oben. Hart knallte Zamorra auf eine glatte Oberfläche, und dann schob sich ein schönes Frauengesicht in sein Gesichtsfeld.
»Hallo«, sagte Chin-Li.
***
Die Kreatur spürte ohnmächtige Wut. Eben noch hatte es das Wesen, das über die Kraft einer Sonne gebot, weit unter sich im Boden gespürt, doch jetzt war es einfach verschwunden.
Die Kreatur fühlte sich um ihren sicher geglaubte Sieg betrogen. Selbst als sie endlich die getarnte Öffnung im Boden gefunden hatte, war es ihr mit ihren Tentakeln nicht gelungen, tief genug ins Erdreich einzudringen, um die Oberflächenbewohner aus ihrem Loch zu zerren. Rasend vor Zorn hatte sie versucht, als Ganzes in die Tunnel einzudringen, aber zum ersten Mal war die scheinbar unendliche Verformbarkeit ihres amorphen Körpers an ihre Grenzen gekommen. Die Gänge waren einfach zu eng für die mächtige schwarze Masse.
Außerdem durfte sich das Wesen nicht zu weit vom Fluss entfernen. Das Wasser war ihr natürlicher Lebensraum. Wasser war Leben.
Langsam zog sich die Kreatur in Richtung Ufer zurück und tauchte ein in die angenehme Kühle des Mekong. Sie ließ sich auf den Grund sinken und spürte, wie die Wut nachließ.
Ihre Beute war entkommen. Aber sie war immer noch da draußen. Irgendwann würde sie sich wieder zeigen und dann würde die Kreatur zur Stelle sein.
Die Jagd hatte gerade erst begonnen!
***
Sie saßen in einer schlichten Hütte, in die sie Chin-Lis Begleiter geführt hatte. »Weit vom Wasser entfernt, hier ist es sicher«, hatte der drahtig wirkende Chinese namens Yau gesagt. Der Dämonenjäger hoffte, dass er Recht hatte. Er war sich nicht sicher, ob er den Strapazen eines weiteren Kampfes gewachsen war.
»Was um alles in der Welt machst du hier?«, fragte Zamorra.
Chin-Li erzählte es ihm.
»Neun-Drachen-Fluss, das ist ein Witz, oder?«, fragte Nicole.
»Die Neun Drachen machen keine Witze!«, sagte Chin-Li, und in ihrer Stimme blitzte etwas von der Vehemenz auf, mit der die chinesische Kriegerin in einem früheren Leben den Orden verteidigt hatte. Dann räusperte sie sich und fuhr fast entschuldigend fort: »Seit ihrer Gründung war die Bruderschaft nicht nur in Hongkong aktiv. Vor allem in der Frühzeit unterhielt der Orden Verbindungen zu Zauberern in ganz Asien, an einigen Orten postierten sie sogar ihre eigenen Stellvertreter.«
»Und was war der Zweck dieser Übung? Sie wollten doch sicher nicht nur mit anderen Magiern Kochrezepte für Zaubertränke austauschen, oder?«
»Nein, Nicole. Das ursprüngliche Ziel der Neun Drachen war es, wie ihr wisst, Hongkong vor der Wiederkehr des Namenlosen zu beschützen. Doch der Dämon, den ihr den Fremden nennt, war nicht die einzige magische Bedrohung in Asien. Also installierten die Neun Drachen und ihre Verbündeten überall dort Wachposten, wo sie weitere übernatürliche Gefahren vermuteten, so wie hier, wo es beunruhigende Gerüchte über ein im Mekong lebendes, Blut trinkendes Ungeheuer gab. Im Laufe der Jahrhunderte ging die Idee dieses Schutzsystems jedoch verloren. Die Posten wurden aufgegeben oder…«
»… in das kriminelle Netzwerk der Neun Drachen eingebunden«, beendete Nicole den Satz.
Chin-Li nickte, und Zamorra sah ihr an, dass ihr der moralische Niedergang des Ordens immer noch peinlich war, auch wenn sie ihm schon lange den Rücken gekehrt hatte.
»Also ist unser Freund Yau hier ein Schmuggler«, sagte Nicole und nickte leicht in Richtung des Chinesen, der im Hintergrund herumwuselte, um ihnen eine improvisierte
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