0813 - Der Schrecken vom Mekong-Delta
Gewalt lösen kann. Zum Glück habe ich durch meinen Vetter gute Kontakte zum Ministerium. Er hat seinen Vorgesetzten klar gemacht, was für fatale Folgen es für den Tourismus hätte, wenn die Sache eskaliert.«
Phuong wusste, dass das ein starkes Argument war, bei dem selbst die Betonköpfe in Hanoi hellhörig wurden. Nach dem Sieg des Nordens über den Süden hatte sich Vietnam lange Jahre von der Außenwelt abgekapselt. Die zunehmende Öffnung für ausländische Besucher und Investoren hatte dem immer noch unter den Folgen des Krieges leidenden Land zu einer neuen Blüte verholfen. Kein Parteifunktionär, der auch nur ein bisschen Verstand hatte, hätte es gewagt, das zu riskieren.
»Was werden sie tun?«
»Mein Vetter hat gerade angerufen. Sie werden einen ausländischen Experten hinzuziehen, der sich mit solchen etwas… extravaganten Fällen auskennt. Und Sie werden mit ihm zusammenarbeiten.«
»Ich?«, fragte Phuong irritiert. »Aber ich kenne mich doch mit so etwas gar nicht aus. Ich bin Tourismusexpertin, keine…«
Ihr Vorgesetzter wischte ihre Bedenken mit einer knappen Geste beiseite. »Sie sind meine beste Mitarbeiterin, und ich möchte den Holzköpfen vom Militär die Sache nicht allein überlassen. Ein gewisser Major Nguyen Thanh soll unserem Gast bei seinen Untersuchungen zur Seite stehen, also sollte von uns auch jemand dabei sein. Außerdem kennen Sie sich im Delta bestens aus. Sie könnten diesem Experten wirklich eine große Hilfe sein.«
»Wo kommt er her?«
»Aus Frankreich. Sein Name ist Professor Zamorra.«
***
Boston
Chin-Li hatte eine Stunde vor dem kleinen Altar in ihrer Wohnung gebetet und ihre Schutzgöttin Tin Hau um Hilfe angerufen. Dann hatte sie eine weitere Stunde meditiert und gehofft, dass sich das Problem nachher als klein und unbedeutend heraussteilen würde. Doch es hatte nicht funktioniert. Als die junge Chinesin an die Oberfläche ihres Bewusstseins zurückkehrte und sich geschmeidig aus dem Lotussitz erhob, waren die Unruhe und die Unsicherheit noch da.
Und Chin-Li wusste auch, warum. Es gab aus ihrer Situation eigentlich nur einen Ausweg. Und es brauchte nur einen Anruf. Doch die Ex-Killerin hasste es, vor einer drohenden Gefahr zu fliehen. Und noch weniger konnte sie jemanden um Hilfe bitten. Selbst wenn es sich um einen wirklichen Freund handelte.
Minutenlang stand sie starr in ihrem kargen, nur mit dem Allemötigsten eingerichteten Appartement in einem der unzähligen gesichtslosen Wolkenkratzer und starrte auf das nächtliche Boston. Kurz überlegte sie, ob sie nicht einfach ihre Sachen packen und mit dem nächsten Greyhound-Bus aus der Stadt verschwinden sollte. Doch sie wusste, dass sich die Bluthunde der Neun Drachen sofort wieder an ihre Fersen hängen würden. Nein, sie musste planvoller zur Sache gehen.
Schließlich gab sie sich einen Ruck und griff zum Telefon. Sie kannte die Nummer auswendig. Es klingelte nur zweimal.
»Château Montagne.«
Chin-Li kannte die Stimme, sie gehörte William, dem treuen Butler.
»Ich bin’s«, sagte die Chinesin knapp.
»Oh, Miss Chin-Li! Wie schön, von Ihnen zu hören!«
»Sind Zamorra oder Nicole zu sprechen?«
»Bedaure, Monsieur und Mademoiselle befinden sich gerade auf dem Weg nach Vietnam. Vermutlich nehmen sie gerade in 10 000 Metern Höhe einen kleinen Imbiss zu sich.«
»Vietnam?«
»Ja, offenbar gibt es da ein kleines Problem im Mekong-Delta.« Chin-Li entging nicht die leichte Anspannung in Williams Stimme. Vermutlich stirbt er jedes Mal halb vor Sorge, wenn sich seine Herrschaften wieder mal mit der halben Hölle anlegen, dachte die chinesische Kriegerin. Und offenbar war der sonst so verschwiegene Butler im Moment ganz froh, sich mit einer vertrauenswürdigen Person über das neueste halsbrecherische, Abenteuer der beiden Dämonenjäger austauschen zu können.
»Wie es scheint, sind da unten in den letzten Tagen ziemlich viele Menschen verschwunden«, fuhr er fort. »Die Behörden sind verständlicherweise etwas beunruhigt. Zumal die Leute nachts auch noch seltsame Erscheinungen haben.«
»Erscheinungen?«, fragte Chin-Li. Die Chinesin fühlte sich plötzlich wie elektrisiert. »So wie Geister?«
»Ja, so ungefähr.« Mit wenigen Sätzen berichtete der Butler der Ex-Killerin, worum es ging.
»Weiß man schon, wer oder was dahinter stecken könnte?«
»Vermutlich wieder so eine Ausgeburt der Hölle« erwiderte William. »Ähem, wenn ich so direkt fragen darf: Was war eigentlich Ihr Begehr,
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