0813 - Der Schrecken vom Mekong-Delta
Es hatte lange gedauert, bis er sich diese schmerzhafte Tatsache eingestandne hatte. Seine Mitbrüder verdrängten sie immer noch.
»Wir wissen ja gar nicht, ob sie überhaupt zurückkommt«, sagte ein anderer Mönch beschwichtigend.
»Oh, sie wird zurückkommen, verlasst euch drauf.«
»Dann sollten wir alle Wege nach Hongkong genau überwachen!«
»Was nützt das? Wir könnten das Netz noch so eng stricken, Chin-Li wird hindurchschlüpfen. Vermutlich ist sie längst in Hongkong.«
Meister Shiu blickte in die Runde, und unwillkürlich musste er lächeln, als er das Entsetzen in den Gesichtern seiner Brüder sah.
***
Saigon
Der Beamte studierte den Ausweis so kritisch, als sei er überzeugt davon, es müsse eine Fälschung sein. Die Miene blieb dabei stoisch und undurchdringlich.
Professor Zamorra versuchte sich seine Ungeduld nicht anmerken zu lassen. Er kannte die Rituale, mit denen die kommunistischen Regime Asiens ihre Besucher willkommen hießen.
Während der Uniformierte mit einem Blick, der Feuer gefrieren lassen konnte, die unzähligen Stempel in Zamorras reichlich gebrauchtem Reisepass durchging, sah der Parapsychologe zur Reihe nebenan, in der seine Lebensgefährtin, Kampfpartnerin und Sekretärin gerade ebenfalls in den Genuss der speziellen Gastfreundschaft der Sozialistischen Republik Vietnam kam.
Nicole Duval warf ihm einen kurzen Blick zu, und Zamorra sah sofort, dass sie auf hundertachtzig war. Der Parapsychologe hoffte inständig, dass Nicole ihre Wut zügeln konnte. Nach dem langen Flug hatte er nicht die geringste Lust auf eine eingehende Sonderbehandlung durch die vietnamesischen Sicherheitsbehörden.
Der Uniformierte vor Zamorra ignorierte komplett das offizielle Schreiben, das Zamorra als speziellen Gast der Regierung auswies und ihn zum Mitführen von Waffen berechtigte, und verglich mit starrem Blick das Gesicht des Parapsychologen mit dessen fotografischem Abbild. Dann endlich drückte er einen weiteren Stempel in Zamorras Pass und reichte ihm das Dokument wortlos zurück. Aus den Augenwinkeln sah Zamorra, dass Nicole auch endlich passieren durfte.
»Schönen Tag noch!«, erklärte Zamorra grinsend. Der Beamte verzog keine Miene, als er sich dem Nächsten in der Schlange zuwandte, um ihn herrisch herbeizuwinken.
»Was denken die sich eigentlich? Uns hier zu behandeln wie Schwerverbrecher!«, fauchte Nicole.
»Immerhin nehmen sie uns keine Fingerabdrücke ab wie die Amerikaner.«
»Das wäre ja auch noch schöner. Und überhaupt, was soll das eigentlich? Immerhin sind wir Gäste der Regierung. Warum lässt sich keiner von denen hier blicken?«
Zamorra sah sich ratlos um. »Keine Ahnung. Ich dachte auch, wir würden hier abgeholt.«
Schließlich hatte es recht dringlich geklungen, als ein hoher Ministerialbeamter aus Hanoi im Château Montagne angerufen hatte, um die beiden Dämonenjäger zu bitten, sofort nach Saigon zu kommen - oder Ho-Chi-Minh-Stadt, wie die ehemalige Hauptstadt des Südens heute offiziell hieß.
Die beiden Franzosen wollten sich gerade in Richtung Gepäckausgabe wenden, als eine Gestalt auf sie zusteuerte. Der Mann war Ende Dreißig, durchtrainiert und trug Jeans, ein dunkelblaues Polo-Shirt und eine Sonnenbrille.
Geheimdienst, schoss es Zamorra durch den Kopf. Ein kurzer Seitenblick zu Nicole bestätigte ihm, dass seine Gefährtin dasselbe dachte.
»Professor Zamorra und Mademoiselle Duval?«
Der Dämonenjäger nickte.
»Major Nguyen Thanh. Innere Sicherheit. Ich heiße Sie im Namen der Sozialistischen Republik Vietnam in Ho-Chi-Minh-Stadt willkommen.«
Der Major war vielleicht etwas gesprächiger als seine Kollegen von der Passkontrolle, aber er strahlte genau die gleiche Eiseskälte aus. Vermutlich hätte er ihnen die demütigende Kontrolle ersparen und sie einfach durchwinken können.
Eine kleine Machtdemonstration. Das fängt ja gut an!, dachte Zamorra grimmig.
Es würde schwierig genug werden, das Rätsel der geheimnisvollen Ereignisse im Mekong-Delta zu lösen. Er hatte keine Lust, sich auch noch mit den bornierten Beamten eines totalitären Regimes herumzuschlagen.
»Bitte folgen Sie mir!« Major Nguyen bot den beiden ausländischen Gästen nicht an, ihnen etwas von ihrem Gepäck abzunehmen. Stattdessen schritt er mit einem Tempo voran, als müssten sie das Mekong-Delta zu Fuß erreichen.
»Das kann ja heiter werden«, zischte Nicole.
»Da sagst du was. Der gute Major Nguyen scheint von unserem Kommen nicht gerade entzückt zu
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