0815 - Die Höllenbestie
hatte das Glück gehabt, in ihrer Heimatstadt einen Studienplatz zu ergattern.
»Wohnt Cindy allein?« fragte ich.
»Nein, bei ihren Eltern.« Jake lächelte knapp. »Hier ist eben alles anders.«
»Das merke ich schon.«
Eine abendliche Ruhe lag über Oxford. Das letzte Licht der Sonne hatte die Konturen weich werden lassen und dem Wasser des Oxford Canal auf der Oberfläche einen hellgrünen Glanz gegeben. Die Wasserstraße lag an der rechten Seite, links von uns befand sich der Bahnhof. Ich sah die Gleise und auch das alte Gebäude mit den hohen, großen Fenstern, in denen sich das Licht der Sonne spiegelte.
»Müssen wir noch weit fahren?«
»Nein, Mr. Sinclair. Wir überqueren gleich eine Brücke und erreichten den Cricket Ground. Dort wohnt Cindy.«
Auf der Brücke herrschte wenig Verkehr. Die meisten Menschen waren mit dem Rad unterwegs. Nichts, aber auch rein gar nichts deutete auf eine Gefahr hin, die blitzartig zuschlagen konnte, um Grauen und Tod zu hinterlassen.
Das Gelände des Cricket Ground war zur Straße hin durch hohe Bäume geschützt. Rechts der Brücke schimmerte das Wasser eines großen Teichs. Die langen Arme der Trauerweiden spiegelten sich auf der Oberfläche.
Vier Häuser standen dicht zusammen. Auch sie gehörten zu den älteren, aber sehr gepflegten Bauten. Bäume verbesserten das Kleinklima und sorgten für Schatten.
In diesen Schatten fuhren wir hinein. Jake stellte den Motor aus, und wir verließen das Fahrzeug.
Er deutete auf das linke Eckhaus. »Dort ist es.«
Eine lange Treppe führte hoch. Eisengeländer friedeten sie ein. Es war still. Wir hörten das Summen der Mücken. Dann eine etwas leise und traurig klingende Musik. Sie erklang aus dem Nachbarhaus.
Die Tür war in einem dunklen Rot gestrichen. Ich roch noch die neue Farbe. Jake Lester wollte klingeln. Er hatte nicht so direkt auf die Tür geachtet, im Gegensatz zu mir, denn ich stellte fest, dass sie nicht geschlossen war. Ich hielt Lesters Hand fest.
»Was soll das?«
»Ganz ruhig«, sagte ich. »Steht die Tür öfter offen?«
»Nein… eigentlich …«, er erschrak, versteifte sich und saugte die Luft ein.
Ich ahnte, was kam. Mit eisernem Griff hielt ich ihn fest, denn er sollte auf keinen Fall in das Haus hineinstürmen und in sein Unglück rennen.
»Bleiben Sie hinter mir, Jake!«
»Warum denn?«
Ich gab ihm keine akustische Antwort und zog meine Beretta. Er wollte reden, der Ausdruck meiner Augen hielt ihn zurück. Jake Lester erschlaffte. Er hatte begriffen. Sein Körper fiel gegen die Seitenwand des Eingangs, und plötzlich zitterte er. Der Lehrer hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten.
Mir wäre es am liebsten gewesen, wenn er mich nicht begleitet hätte. Ich drückte die Tür auf und war froh, dass er sich nicht bewegte. Das leise Knarren der Angeln nahm ich in Kauf. Für mich hatten sich die abendlichen Schatten bereits in düstere Vorboten des Todes verwandelt, die auch nicht wichen, als ich den ersten Schritt über die Schwelle hinweg in das Haus gesetzt hatte.
Es war dunkel.
Es war still.
Es war tot!
Und es gab diesen widerlichen Geruch, den ich leider nur allzu gut kannte.
Im Flur blieb ich stehen. Ich sah offene Türen und einen mit braunen Fliesen belegten Boden. In einem dunkleren Braun schimmerte das Geländer der Treppe. Die Stufen führten nach oben, wo auf dem ersten Absatz graugrünes Licht durch ein Fenster fiel.
Kurz davor lag die Gestalt.
Ich huschte hoch. Mein Herz klopfte schneller. Zwei Stufen vor dem Ziel sah ich bereits die Blutlache. Sie war aus dem Kopf des Mannes geflossen, der die Schläge nicht überlebt hatte.
Ich konnte nicht einmal erkennen, ob er alt oder jung war. Ich stieg über die Leiche hinweg und erreichte sehr bald die hellere Stelle auf dem Absatz.
Vier weitere Stufen endeten dort, wo die erste Etage begann. Ich sah diesmal keinen Toten, sondern eine hell gestrichene Tür, die in einem rechten Winkel zur Flurwand stand.
Dahinter befand sich ein Zimmer. Wem gehört es? Was würde ich dort finden.
So leise wie möglich näherte ich mich dem Ziel. Es war nichts zu hören, kein fremdes Geräusch, keine andere Stimme. Die tödliche Stille hatte sich wie eine große Kralle um alles gelegt, was mir hier begegnete. Ich merkte, wie auch mein Blut allmählich gefror, weil ich davon ausging, dass der Tod noch kein Ende gefunden hatte.
Jory war hier gewesen.
Hatte er sich auch Cindy Bell geholt?
Fast neben der offenen Tür blieb ich stehen. Noch einmal
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