0816 - Die Schattenfrau
Wasser gefüllten Kanister und hatten schwer daran zu schleppen.
Cliff erreichte das Boot vor ihnen. Er blieb stehen und dirigierte seine Helfer aufs Deck. Sie schauten mich lächelnd an, sie setzten ihre Lasten ab, bekamen ihr Geld in die Hände gedrückt und verschwanden wieder.
Ich wartete, bis ihre Stimmen verklungen waren, dann deutete ich auf die Behälter. »Alles klar?«
»Wie meinst du, John?«
»Kann man das Zeug auch trinken?«
»Es stammt aus einem Brunnen.«
Ich hob die Schultern. Clifford lachte und drehte mir seine linke Seite zu. Ich hatte die Tasche bisher noch nicht gesehen, die an einem Riemen über seiner Schulter hing. Sie war offen, er griff hinein und warf mir zwei mit Wasser gefüllte Dosen zu. »Auch das gibt es in diesem Dorf.«
Zwar waren die nicht eiskalt, aber das störte mich nicht. Ich öffnete die erste Dose und trank. Es war eine Wohltat. Ebenso die zweite Dose, die ich mit drei Schlucken leerte.
Inzwischen hatte Cliff die Tasche im Ruderhaus verstaut. Er kam wieder zurück, schaute sich um und nickte. »Na ja, wir werden es bis zur Dämmerung geschafft haben. Es sind nur mehr ein paar Meilen flussabwärts.«
»Da finden wir dann das Grab.«
»Ja, aber nicht direkt am Ufer. Wir müssen noch etwas laufen. Tut mir Leid.«
Ich winkte ab. »Macht nichts. Ich bin Kummer gewohnt.«
Es dauerte nicht mehr lange, bis wir ablegten. Wieder begann unsere Reise, und diesmal schlief ich nicht ein. Die Sonne war tiefer gesunken, trotzdem hatte ich den Eindruck, als würden ihre Strahlen brutal gegen meinen Nacken drücken, der kaum mehr aus Haut bestand, sondern nur aus einer schweißigen Fettschicht.
Unser Boot kämpfte sich weiter durch die Wellen. Das Wasser war grau und schäumend. Es wirbelte an den Außenwänden in die Höhe, und bei besonders starken Stromschnellen tauchten wir mit dem Bug sehr tief ein, als wollte sich das Boot vor den Kräften des Flusses verbeugen. Obwohl ich nicht schlief, sprachen wir so gut wie kein Wort miteinander. Den Grund wusste ich selbst nicht, es konnte durchaus an der Spannung liegen, die sich zwischen uns beiden ausgebreitet hatte. Sie war einfach da. Es mochte daran liegen, dass wir uns immer mehr unserem eigentlichen Ziel näherten.
Ich ging zu Clifford in die Kabine. »Nun?«
Er deutete auf die rechte Uferseite. »Ungefähr dort müssen wir hin. Du kannst dir schon mal einen Eindruck von der Gegend verschaffen.«
Viel war nicht zu sehen. Die beiden Uferstreifen des Nils gehörten zu den großen, fruchtbaren Ebenen, und hier lebte auch der größte Teil der Bevölkerung. Davon war allerdings an diesem Abschnitt des Flusses nicht viel zu sehen.
Wie ein welliger, braungrauer Teppich lag das Land vor meinen Augen. Manchmal durchweht von großen Staubfahnen, die der Wind in die Höhe geschleudert hatte.
»Ja, staubtrocken, John.«
»Dann sollten wir Wasser mitnehmen.«
»Es sind noch genügend Büchsen da.«
Ich verließ den Unterstand wieder, beugte mich über die Reling und schaute in die grauen Nilfluten. Sie umgurgelten das Boot, hoben es an, ließen es sinken, spielten mit ihm, drückten es zur Seite und schlugen manchmal wütend wie kleine Patschhände gegen die Außenseite.
Das Wasser quirlte, schäumte, warf Wellen, setzte sich aus zahlreichen kleinen Schaumhauben zusammen, schleuderte immer wieder Wellen gegen das Boot, die von der Bordwand zerstört wurden.
Auf einmal war das Gesicht da.
Es schwamm im Wasser. Ich sah es deutlich. Das Gesicht einer Frau, der Mund noch leicht blutig, zu einem Lächeln verzogen, das wie ein Gruß aus der Hölle wirkte.
Ich blickte genauer hin – und musste feststellen, dass es kein Gesicht mehr gab. Es war weg.
Täuschung, Einbildung? Hatten mir meine doch strapazierten Nerven einen Streich gespielt? Nein, daran glaubte ich nicht. Es gab diese Erscheinungen, ich erlebte sie nicht zum ersten Mal. Ich drehte mich wieder um und schaute über den Bug des Boots hinweg, doch auch dort war nichts zu erkennen.
Ich fragte Cliff, ob alles okay wäre.
»Ja, es läuft glatt, wir legen gleich an. Warum fragst du denn?«
»Nur so.«
Er schaute mich skeptisch an, stellte aber keine Frage, und ich sah hinauf in den Himmel, der seinen strahlenden Glanz verloren hatte.
Erste lange, graue Schatten schoben sich vor. Sie würden den Tag fressen, waren bereits die Vorboten der Nacht, doch glücklicherweise würde es noch lange hell bleiben.
Von der Steuerbordseite her wuchsen plötzlich hohe Schatten heran, die
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