0817 - Luzifers Tränenbecher
nie einen Pakt eingehen. Ich gehe aber davon aus, dass Luzifers Tränenbecher Unheil über die Menschen bringt, und es ist meine Pflicht, dies abzuwenden und den Becher zu zerstören.«
Isabell Munro oder wer auch immer sie sein mochte, schickte mir ein leises Lachen. »Was nach menschlicher Zeitrechnung Milliarden von Jahren überdauert hat, kann nicht so ohne Weiteres zerstört werden. Und nun heb die Träne auf. Nimm sie in die Hand und schau sie dir aus der Nähe an. Möglicherweise wirst du etwas von ihrer Faszination erleben.«
Sollte ich – sollte ich nicht?
Ich hätte leicht einen Rückziehermachen können, nur war das nicht meine Art.
Ich nickte ihr zu. Dann bückte ich mich und streckte meinen Arm aus. Mit der Kuppe des Mittelfingers berührte ich für einen Moment die Träne, dann zuckte der Finger zurück.
Nichts war geschehen, ich hatte mich eben von meiner eigenen Nervosität überrumpeln lassen.
»Nimm sie!«
Mit Daumen und Zeigefinger nahm ich die Perle auf. In diesem Augenblick sah ich sie als völlig neutral an.
Ich hielt den Arm angewinkelt, sodass sich die Hand mit der Träne mit dem Kreuz auf gleicher Höhe befand. Die Träne des Luzifers war rund und hatte dennoch leichte Ecken. Das Glas war weich und hart zugleich, es setzte mir Widerstand entgegen, obwohl ich den Eindruck hatte, es leicht zusammendrücken zu können.
Ich schaute mir die Träne zum ersten Mal richtig aus der Nähe an.
Die Perle bestand aus einem durchsichtigen Material. Da schien das Tränenwasser regelrecht gefroren zu sein. Mich erinnerte sie an einen Kristall, und ich wartete vergeblich darauf, dass etwas mit ihr und demzufolge auch mit mir geschah. Dafür hörte ich die Stimme der Isabell Munro.
»Nun, wie gefällt sie dir?«
Ich hob die Schultern.
»Das ist keine Antwort.«
»Soll ich sie loben und sagen, wie toll sie ist? Da müsste ich schon lügen. Sie kann mir nichts sagen, denn ich habe niemals auf Luzifers Seite gestanden.«
»Sie ist ein Teil der uralten Welt«, erklärte mir Isabell.
»Für dich.«
»Nein, jeder kann es spüren.« Sie lächelte mich an. Zufällig hatte ich auch in ihre Richtung geschaut, und ich erkannte in ihren Augen etwas, das mir nicht gefiel.
Eine eisige Kälte, fast vergleichbar mit der, die in Luzifers Augen lag.
Ich wollte die Träne fallen lassen, doch dazu kam ich nicht mehr.
Urplötzlich verwandelte sich die Träne zwischen meinen Fingern in einen gleißenden riesigen Kristall…
***
Suko und der Kommissar waren in dem kleinen Büro zurückgeblieben, keineswegs beruhigt, sondern voller Spannung. Sie spürten, dass hier einiges nicht mit rechten Dingen ablief. Die andere Macht hatte zugeschlagen, denn sie wurde durch Isabell Munro verkörpert, die mit John Sinclair sprach.
Um die beiden herum war es still. Sie konnten alles verstehen, weil sie von keinem anderen Geräusch abgelenkt wurden, und so bekamen sie auch mit, dass John aufgefordert wurde, die Perle aufzuheben.
Harry bewegte seinen Kopf mit einer hastigen Bewegung nach rechts, um Suko anzuschauen. In seinen Zügen stand die blanke Furcht. Als er sprach, bewegten sich die Lippen zitternd. »Das kann doch nicht gut gehen, Suko.«
»Warte es ab.«
»Wir müssen eingreifen.«
Suko legte seinen Zeigefinger auf die Lippen und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Er setzte volles Vertrauen in seinen Freund und auch in dessen starke Abwehrwaffe, das Kreuz.
Es geschah nichts. Noch redeten diebeiden. Suko und Harry konnten nicht erkennen, ob John die Träne bereits festhielt, aber sie wurden plötzlich abgelenkt, denn sie hörten Geräusche in ihrer unmittelbaren Nähe.
Ein leises Rollen, ein klackerndes Geräusch, das entsteht, wenn Glas gegen Glas schlägt.
Kugeln… Tränen …
Harry und Suko suchten den Boden in dem kleinen Büro ab.
Sie sahen die Tränen nicht.
Aber sie hörten sie.
Klirren, klackern, alles sehr leise und gedämpft. Die Kugeln bewegten sich im Unsichtbaren. Luzifer persönlich schien seine Hand über die alten Tränen ausgestreckt zu haben und spielte mit ihnen.
Die Geräusche aus dem Unsichtbaren zerrten an ihren Nerven.
Harry Stahl wurde nervös. Er ging von der Tür weg, um eine bessere Übersicht zu erhalten. Er blickte in die Ecken, dann drehte er langsam den Kopf, als wollte er mit seinem Gehör den Geräuschen folgen.
Zu sehen war noch immer nichts.
Aber die Laute blieben.
Klack – klack…
Schneller diesmal, unruhiger. Die Kugeln oder Tränen zogen ihre Bahnen. Harry
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