0817 - Luzifers Tränenbecher
leckte nervös über seine Lippen. »Ich… ich … habe es erlebt, wie sie es schaffte, sich aufzulösen, Suko. Das ist hier ähnlich. Auch die Tränen haben sich aufgelöst, aber sie sind dieselben geblieben, nur rollen sie eben im Unsichtbaren.«
»Ich weiß.«
»Kannst du nichts tun?«
»Was denn, wenn ich sie nicht sehe?«
Harry stand mit dem Rücken an der Wand und nickte. Er sah aus, als wollte er sich entschuldigen.
Suko hielt es in seiner normalen Lage nicht mehr aus. Er bückte sich und bewegte die Hand flach über dem Boden, dabei immer den Geräuschen der rollenden Tränen folgend.
»Spürst du was?«
»Nein.«
»Aber sie sind doch da!« Harry ballte die Hände vor Wut zu harten Fäusten.
Der Inspektor richtete sich wieder auf. Harry hatte die Bewegung mitbekommen und ahnte, dass Suko einen anderen oder auch bestimmten Plan gefasst hatte.
Er sah sich nicht getäuscht, denn Suko griff dorthin, wo die Dämonenpeitsche in seinem Gürtel steckte. Er zog den kurzen Griff hervor und schlug mit dem unten offenen Ende einmal einen Kreis über den Boden. Wie drei Schlangen glitten die Riemen hervor und fächerten leicht auseinander.
Ihre Enden schwebten noch über dem Boden, was sich bald änderte, denn Suko bückte sich und tat im Endeffekt das gleiche, das er schon zuvor mit seiner Hand getan hatte.
Diesmal führte er die drei Riemen auf dem Boden entlang, als wollte er das Sichtbare aus dem Unsichtbaren hervorholen.
Harry Stahl schaute gebannt zu. Er wusste nicht genau, was Suko vorhatte, doch er hoffte, dass Suko damit Erfolg hatte.
»Spürst du was?«
Suko hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Hier ist etwas, ich kann es spüren, aber ich kann es nicht zerstören. Es zeigt sich einfach nicht, verstehst du?«
»Nein…« Harrys Stimme zitterte.
»Ist auch nicht wichtig.« Suko ärgerte sich. Zum ersten Mal hatte er den Eindruck, von der Dämonenpeitsche im Stich gelassen zu werden. Er probierte es mit einem leichten Zuschlagen.
Auch da passierte nichts. Die drei Riemen landeten mit klatschenden Lauten am Boden und blieben dort liegen.
Es hatte keinen Sinn. Die andere Seite war einfach zu mächtig und mit allen Wassern gewaschen.
Suko erhob sich. Er ärgerte sich, denn hier konnte er einfach nichts machen.
Er drehte sich zu Harry Stahl um. Beide wollten sich um den anderen Raum kümmern.
Suko befand sich noch in der Bewegung, als es passierte. Das Licht oder die immense Kraft drang wie ein gewaltiger Schwall durch die offene Tür. Ein Energiestrom, der über beide hereinstürmte, sodass Suko das Gefühl hatte, von den Beinen gerissen zu werden. Er taumelte zur Seite, die Peitsche hielt er noch fest, und sein Blick traf Harry Stahl.
Der Kommissar sah aus, als wäre er von gewaltigen Lichtbögen umgeben, die einen bläulich-grünen Käfig um ihn herum gezeichnet hatten. Im nächsten Augenblick hatten beide den Eindruck, nicht mehr auf dem Boden zu stehen. Ihnen waren die Füße weggerissen worden, doch sie fielen nicht, sie schwebten davon.
Der Tunnel war da. Und zwei Körper verschwanden im Nichts…
***
Die Träne auf meiner Hand war zu einem Kristallberg geworden, obwohl sie noch auf der Haut lag. Ich starrte mit weit aufgerissenen Augen in diese Helligkeit, die nicht schmerzte, die aber auch in meinen Kopf drang.
Es war alles nicht mehr so wie sonst. In der Helligkeit schimmerte der Umriss eines kalten Gesichts. Sehr weit entfernt, deshalb nur schwach zu sehen, doch es war der Blick aus Luzifers grausamen Augen, der mich traf.
Und ich schaute hindurch, denn dort, sehr nah und trotzdem weit, stand die Frau.
Ich kannte sie als Isabell Munro. Das aber war sie nicht mehr, denn jetzt zeigte sie mir ihr wahres Gesicht.
Sie war nackt. Ihr Körper zeigte pralle Rundungen, beinahe provozierend große Brüste, ein dunkles Dreieck zwischen prallen Schenkeln, eine weiße Haut, die dennoch bläulich schimmerte. Ein verzerrtes Gesicht mit Haaren, die ebenso schwarz waren wie die der Isabell Munro, aber steil in die Höhe standen.
Mit ihren bloßen Füßen stand sie nicht auf dem Boden, sondern in einem Gefäß.
Es war der Becher, der wie ein Kelch aussah und mich sogar an den Dunklen Gral erinnerte. Aus dem Kelch hervor schaute der Griff eines Dolchs, wobei ich nicht genau erkennen konnte, ob es meiner war.
Jetzt wusste ich, wer damals vor unendlichen Zeiten die Tränen Luzifers aufgefangen hatte.
Keine geringere als Lilith, die erste Hure des Himmels!
***
Die kleine Kneipe lag in der
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