0817 - Luzifers Tränenbecher
spürte auch den Druck in der Kehle so stark wie nie zuvor. Müller hatte nie zu den Menschen gehört, die besonders stark auf ihre Gefühle achteten, aber diesmal meldete sich so etwas wie eine innere Stimme, die ihn warnte, weiterzugehen.
Er überhörte sie.
Die alte Haustür ließ sich nicht mehr schließen. Müller drückte sich hindurch und hatte kaum den ersten Schritt nach draußen getan, als er die Maschinenpistole von der Schulter rutschen ließ und die UZI in die Hände nahm.
Jetzt fühlte er sich wohler.
Auf dem Hinterhof bewegte sich nichts, nur er selbst stand für einen Moment da wie sein eigenes Denkmal, die MPi im Anschlag.
Er war es gewohnt, das Terrain zu sondieren, das tat er auch jetzt.
Doch sosehr er seine Blicke auch schweifen ließ, eine äußere Gefahr konnte er nicht erkennen.
Deshalb ging er los.
Sein Ziel war die Tür des Anbaus. Kein Geräusch war zu hören.
Müller hatte sich konzentriert. Die Laute von der Straße hatte er kurzerhand ausgeschaltet.
Die Tür rückte näher.
Sein Magen krampfte sich zusammen. Die Augen hatten sich verengt. Er starrte einzig und allein auf dieses eine Ziel, alles andere war jetzt unwichtig geworden. Der Hauptmann hielt die Waffe locker, war jedoch bereit, sofort zu schießen, wenn eine Gefahr drohte.
Müller rechnete mit allem. Und doch war er überrascht, als sich die Tür von innen her plötzlich öffnete. Sehr hastig wurde sie aufgerissen. Jetzt hätte der Kommissar erscheinen müssen, doch er stand nicht auf der Schwelle, sondern eine Frau, die etwas in den Händen hielt. Etwas, das Müller nicht identifizieren konnte.
Beide starrten sich an!
Genau in dieser Sekunde spürte der Hauptmann die Gefahr, die von dieser Person ausging. Der zwanghafte Trieb, seine MPi einzusetzen, drang in ihm hoch, doch er hatte sich unter Kontrolle.
»Aus dem Weg!« schrie die Frau.
»Nein! Sie werden…«
Ein peitschendes Lachen traf ihn. Er sah die Bewegung, mit der die Frau in diesen Gegenstand hineingriff, als wollte sie eine Waffe hervorholen, und Müller verlor in diesem entscheidenden Moment die Nerven und er drückte ab.
Müller hörte das harte Rattern der Waffe. Er hatte bewusst tief gehalten, und die Garbe zog ihre Spur über den Boden auf die Frau zu.
Der Hauptmann wollte sie nicht töten, nur kampfunfähig schießen, dazu aber kam es nicht mehr.
Es passierte etwas, das Müller beinahe den Verstand raubte. Und es geschah während einer kaum messbaren Zeitspanne.
Die Frau drehte sich einmal um ihre eigene Achse. Während sie das tat, löste sie sich auf, doch gleichzeitig entstand etwas anderes, ein weißer, milchiger Wirbel, aus dem hervor sich etwas löste und mit einer irren Geschwindigkeit auf Müller zuraste.
Er konnte nicht mehr ausweichen.
Seine Reflexe waren nicht gut genug. So stand er da, und der Dolch traf seine Kehle. Er bohrte sich tief hinein und trat an der anderen Seite mit seiner blutigen Spitze wieder hervor.
Hauptmann Müller war auf der Stelle tot. Leblos fiel er um, prallte zu Boden und blieb liegen…
***
Es war genau der Augenblick, als Kommissar Harry Stahl die Tür erreichte. Er war aus seinem Zustand der Lethargie erwacht und hatte die Pistole gezogen.
Geduckt sprang er über die Türschwelle, warf sich augenblicklich zu Boden und rollte sich herum.
Nichts geschah mehr.
Stille umgab ihn.
Harry wusste sofort, dass es eine bestimmte Stille war, die absolute Ruhe des Todes.
Er stand wieder auf.
In diesem Augenblick gellten die Stimmen der anderen Männer über den Hof. Die Soldaten standen an den offenen Fenstern. Sie hatten das Geschehen mitbekommen und waren entsetzt. Alles war so schnell abgelaufen, dass ihnen keine Chance zum Eingreifen geblieben war. Nun starrten sie auf ihren toten Hauptmann, um dessen Hals sich eine rote Krause aus Blut gebildet hatte.
Harry Stahl steckte seine Waffe weg. Er fühlte sich so schrecklich ausgebrannt, denn er gab sich innerlich die Schuld am Tod dieses Mannes.
Der Kommissar schüttelte den Kopf, als wollte er Wassertropfen aus seinen Haaren schleudern. Seine Knie fühlten sich weich an, die Beine wollten ihm kaum gehorchen, als er mit sehr müden und schleifenden Schritten auf den Toten zuging und neben ihm stehen blieb. Zugleich mit ihm erreichte auch Klaus Wehner die Leiche.
Der junge Mann war bleich wie eine Wand. In seinen Augen schimmerte es feucht. Er hatte eine harte Ausbildung hinter sich, diese Tat jedoch ging ihm an die Nieren.
Auch seine übrigen Kameraden
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