0819 - Der Tod des Heiligen
rebellierte und aufging in die Flower-Power-Bewegung.
Ich konnte einen Blick in die Augen der Kleinen werfen. In den Pupillen lug ein trauriger und gleichzeitig verträumt-entrückter Ausdruck. Sie spielte, aber mit ihren Gedanken war die Musikantin ganz woanders. Versteckt in einer fremden Welt, wo sie Dinge sah, die für uns nicht zu erkennen waren.
Sie ging sehr langsam, spielte dabei. Ihre Finger waren sehr lang und bleich, kein Lack bedeckte die Nägel, über der Haut spannten sich die Knochen. Das Mädchen sah keinen an, es war voll und ganz auf die Musik konzentriert, und auch ich konnte mich deren Faszination nicht entziehen.
Für mich war sie auch jetzt sehr schmerzvoll und traurig. Sie schien die Last der Welt auf ihre ureigene Art und Weise übertragen zu wollen, und ich hätte mich nicht gewundert, wenn das junge Mädchen angefangen hätte zu weinen.
Ein Trauerlied, eine Melodie des Abschieds, und ich dachte daran, daß The Saint gestorben war.
Der Heilige war tot.
Ihm weihte sie ein letztes Lied.
Keinem Menschen gönnte die Blonde einen Blick. Sie schritt tiefer in das Lokal hinein. Selbst das leise Knarren der alten Holzbohlen wurden von den traurigen Klängen überstimmt.
In der Mitte des Raumes, ungefähr in unserer Höhe, blieb sie stehen, schloß die Augen, drückte sich dabei leicht in die Knie und gelangte zum Finale.
Noch einmal schluchzte die Geige auf. Da weinte die Melodie und schickte ihre Trauer durch den Raum, bis die Blonde den Bogen von den Saiten nahm und ihn ebenso wie das Instrument sinken ließ.
Es war vorbei.
Aber niemand klatschte.
Die Stille lastete wie ein Druck über den Anwesenden. Die Blonde strich mit einer Handbewegung eine Haarsträhne zurück, bevor sie den Kopf drehte und einen Mann anschaute, der ihr zugenickt hatte.
Auch ich sah mir den Mann an.
Er war schon etwas älter, hatte einen kleinen Kopf, ein kleines Gesicht, einen kleinen Mund, eine ebenfalls kleine Nase, ein rundes Kinn, lebhafte Augen und einen grauweißen Bart, der das Gesicht wie ein Kranz umwuchs. Er vereinigte sich mit den Haaren, die die gleiche Farbe hatten und kurz, flach, aber lockig ihren Platz auf seinem Kopf gefunden hatten. Der Mann nickte.
Das blonde Mädchen atmete sichtlich auf. Dennoch wollte es alles genau wissen. »War ich gut?« erkundigte es sich mit leiser, etwas flach klingender Stimme.
»Ja, das warst du, Lilian.«
Sie schloß für einen Moment die Augen, glücklich dabei, lächelnd.
»Dann wird es ihm auch gefallen, denke ich.«
»Bestimmt, Lilian. Deine Musik wird ihn auf seiner Rückkehr begleiten.«
Bill stieß mich an. »Sie meinen The Saint, nicht?«
»Klar, den Heiligen. Vielleicht holen sie ihn so aus dem Reich der Toten zurück.«
»Das kann ich nicht glauben.«
»Abwarten. Hier werden wir noch einige Überraschungen erleben, Bill.«
Der Reporter hob die Schultern und schaute zu, wie sich der Bärtige erhob. Er ging auf Lilian zu, küßte sie auf beide Wangen, führte sie dann zu einem Tisch, an dem noch ein freier Stuhl stand, auf dem sie sich niederlassen sollte.
Sie nahm auch Platz. War scheu, hielt den Blick gesenkt, und der Bärtige drehte sich langsam um. Ich hatte dabei den Eindruck, daß er sich nun mit uns beschäftigen würde, und diese Annahme wurde auch bestätigt, denn er kam auf uns zu.
Er ging langsam, behielt uns im Auge. Sein Blick war klar und abschätzend, die Hände hielt er zu Fäusten geballt und öffnete sie erst, als er vor uns stehen blieb.
Er stand mittig vor uns, konnte Bill und auch mich anschauen, und sein Blick war keinesfalls freundlich. Unwillkürlich dachte ich an den leblosen Papagei und auch daran, daß ich den Besitzer der Kneipe noch nicht zu Gesicht bekommen hatte.
Wir waren Fremdkörper, was nicht allein an unserer anderen Kleidung lag. Man brauchte nicht lange hinzuschauen, um erkennen zu können, daß uns dieses gewisse Vergeistigte fehlte, das allen anderen hier im Raum zu eigen war.
Der Bärtige nickte. »Wer sind Sie?«
Ich hob die Schultern. »Das kommt darauf an, wer Sie sind. Nennen Sie uns Ihren Namen.«
»Ich heiße Hartwig.«
»Mehr nicht?« fragte Bill.
»Nein, das reicht auch. Jeder kennt mich. Ich war ein Vertrauter des Heiligen.«
Bill nahm es locker und meinte. »Wohl seine männliche Sprechstundenhilfe, wie?«
Darüber konnte Hartwig nicht lachen. »Ihr solltet ihn nicht verspotten und seinen Namen nicht durch den Dreck ziehen.«
»Ist er Gott?«
»Nein, das ist er nicht, Mister. Aber
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