0819 - Der Tod des Heiligen
rechts von uns, direkt daneben der Friedhof, der zur Straße hin durch ein Gitter getrennt war. Dahinter wuchsen Büsche, deren beblätterte Zweige sich durch die Lücken zwischen den einzelnen Stäben geschoben hatten.
Eine Kneipe gab es auch.
Sinnigerweise trug sie den Namen Cuttlane Inn, und der niedrige Bau lag der Kirche direkt gegenüber. Zimmer wurden auch vermietet, denn wir entdeckten neben der Tür das Bed & Breakfast-Schild.
Parkplätze gab es genug. Bill ließ den Wagen vor einer in den Boden eingegrabenen Abflussrinne ausrollen, und wir beide waren froh, aussteigen und unsere Glieder strecken zu können.
Nicht weit entfernt wuchs eine große Platane. Unter ihrem Geäst im Schatten lehnten drei junge Männer am Baumstamm. Sie hatten die Rucksäcke abgestellt und schauten uns an.
»Das sind auch Fans des Heilers«, sagte Bill. Er wollte auf die Tür der Kneipe zugehen, stoppte aber, als er sah, daß ich mich gedreht hatte.
Mit gemächlichen Schritten ging ich auf die drei jungen Männer zu, tauchte ebenfalls in den Schatten des Baumes ein und blieb vor ihnen stehen. Sie blickten mich zwar an, aber sie schauten irgendwie durch mich hindurch. Ihre Augen waren leer.
»Hallo…«, grüßte ich.
Zwei nickten zurück.
»Ihr seid auch wegen des Heiligen hier?« Meine Frage war nicht originell.
Ich erhielt zunächst keine Antwort und spürte nur Bills Atem in meinem Nacken.
»Du auch?« fragte der in der Mitte. Er sah aus wie ein Hippie aus den Siebzigern, aber die kehrten wieder zurück, sie waren richtig »in« geworden.
Ich ließ meinen Blick über die langen, dunklen Haare gleiten, bis hin zu den blassblauen Jeans mit den ausgestellten Beinen. »Ja, weshalb sollten wir sonst gekommen sein?«
»Er ist wunderbar«, flüsterte der Junge, den ich auf höchstens zwanzig schätzte.
»Sicher. Nur schade, daß er tot ist.«
Bei diesem Satz zuckten die drei zusammen. »Tot!« sagte ein anderer, dessen Haare rot leuchteten. »Nein, The Saint ist nicht tot. Er nicht, jeder andere, aber er nicht«, wiederholte er, und in seiner Stimme lag eine Überzeugung, über die ich mich wunderte.
»Moment mal«, sagte ich. »Sollten sich die Zeitungen denn alle geirrt haben? War das ein Trick. Lebt der Heilige noch? Meine Güte, wenn ihr mehr wißt, dann…« Ich tat so, als würde mir die Stimme versagen, und ich hoffte darauf, daß mein Schauspiel ihnen gefiel.
»Nein.« Der Hippie antwortete wieder. »Er ist von uns gegangen, aber er ist nicht weg.«
Ich nickte.
Das sah er als Aufforderung an, weiterzusprechen. »Was ist schon ein Körper! Auch der Heilige hat ihn nur als eine Übergangsstation benutzt. Der Körper kann vergehen, aber sein Geist ist noch vorhanden. Heute werden wir seine Hülle beerdigen, aber doch nicht den Geist. Er hat uns eine Überraschung versprochen, und wir sind fest davon überzeugt, daß er uns gerade an diesem Tag eine Botschaft zukommen lassen wird. Der Heilige wird sich uns zeigen. Er wird uns beweisen, daß er noch unter uns weilt.« Der Knabe verdrehte die Augen und schaute hoch zum Blätterdach, als hätte er dort eine Erscheinung gesehen.
»Ja«, flüsterte ich, »das glaube ich auch.«
»Wie hat der Meister euch denn geholfen?«
Ich ließ mir blitzschnell etwas einfallen. »Ich hatte es am Herzen, mein Freund im Rücken. Die Ärzte hielten uns für Spinner, nicht aber The Saint.«
»So hat er oft gehandelt.«
Ich nickte ihm zu. »Wir sehen uns dann später, Freunde. Wollen wir hoffen, daß es dem Heiligen gelingt, ein Zeichen für uns alle zu setzen, meine Lieben.«
Sie nickten und lächelten.
Als wir ihnen den Rücken zugewandt hatten, verdrehte Bill Conolly die Augen. »Meine Güte, John, was hast du da wieder dick aufgetragen. Das ist ja unglaublich.«
»Findest du?«
»Sicher.«
»Unsere Freunde wohl nicht. Sie haben mir geglaubt.«
»Für mich haben sie einen leichten Dachschaden.«
Ich blieb stehen. »Hör mal zu, Alter, wenn nicht mehr an dieser komischen Sache dran ist, dann frage ich mich, warum wir hergefahren sind.«
Bill grinste. »Es ist doch heute ›in‹, einen Ausflug aufs Land zu machen, oder nicht?«
»Vielleicht, aber ich war nie darauf stolz, modern zu sein.«
»Warte ab.«
Was sollte ich auch machen? Wir hatten einmal in den sauren Apfel gebissen und mußten ihn essen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als meinem Freund in die Kneipe zu folgen…
Es war düster, als wir durch die Tür traten, und auch das trübe Glühen einiger Lampen
Weitere Kostenlose Bücher