0819 - Der Tod des Heiligen
bestimmten Ort erwartet, der zentral gelegen ist. Von dort aus marschieren sie dann in Richtung Grabmal.«
Bill nickte. »Gut gedacht, aber…«
»Moment noch.«
Ich wollte ihm nicht zuhören, denn ich hatte gesehen, daß auch Hartwig die Kneipe verließ. Als letzter trat er durch die Tür, blieb davor stehen und schaute sich zunächst um.
Wir waren zurückgetreten und hielten uns im Schatten eines Baumes auf. Hartwig nahm von uns keine Notiz. Seine Blicke galten den Männern und Frauen, die auf ihn warteten.
Langsam fiel die Tür hinter ihm zu. Als sie ins Schloß rutschte, war das auch für ihn ein Zeichen. Er hob seine rechte Hand, streckte einen Finger aus und ließ den Arm sinken.
Für ihn und die anderen das Zeichen zum Abmarsch.
Er ging vor.
Uns würdigte der Bärtige mit keinem Blick. Den Kopf hielt er hocherhoben. Er war der Sieger, und er fühlte sich auch so.
Nachdenklich schauten wir ihnen hinterher.
Die Zeit drängte etwas, dennoch warteten wir ab, bis wir keinen der Pilger mehr sahen. Niemand sollte erkennen, daß wir noch einmal zurückgingen, um uns auf die Suche zu machen. Das Schicksal des Wirts lag uns am Herzen, und wir konnten uns auch vorstellen, daß dieser Mann eine Frau oder eine Familie hatte, die in diesen Horror mit hineingerissen worden war.
Bill drehte sich als erster um. Die Tür war nicht abgeschlossen worden, und mein Freund drückte sie mit der Schulter auf.
Wir schauten in einen leeren Gastraum. Nur der tote Vogel lag noch auf dem Boden. Er sah aus wie ein makabres Spielzeug, das jemand verloren hatte.
»Er geht über Leichen«, sagte Bill leise. »Und ich rechne damit, daß auch der Wirt nicht mehr lebt.«
Ich schwieg. Es war Antwort genug, denn die gleichen Gedanken durchströmten auch mich.
Es roch nicht einmal nach Kneipe. In der Luft lag ein ungewöhnlicher Geruch, schon mehr ein Aroma, das die seltsamen Gäste hinterlassen hatten. Wahrscheinlich hatten sie sich mit irgendeinem Öl eingerieben oder etwas gegessen, das für gewisse Körperausdünstungen sorgte.
Wir fanden die Tür, die zu einem kleinen Flur führte. Hier waren nicht die Toiletten untergebracht worden, sondern ein Lager und ein Büroraum. Links von uns stieg eine dunkel gebeizte Treppe in die Höhe und verschwand im Dämmern.
Der Reihe nach stießen wir die Türen auf. Dabei hatten wir unsere Waffen gezogen, denn mit Überraschungen war immer zu rechnen.
Zuerst untersuchten wir das Büro.
Es war leer.
Nur wenige Möbel standen darin. Es roch nach kaltem Pfeifentabak. Ich drehte mich um. Bill der bereits in den zweiten Raum geschaut hatte, machte mir Platz.
»Leer.«
»Und der dritte?«
»Den überlasse ich dir.«
Zu ihm gehörte eine Tür, die aus rohen Bohlen gezimmert worden war. Dahinter brannte Licht, denn durch die Lücken im Holz fielen schmale, helle Streifen.
Ich legte eine Hand auf die kalte Klinke und drückte sie nach unten. Da sie etwas klemmte, mußte ich mehr Druck aufwenden, bis ich die Tür nach innen schieben konnte.
Das Licht brannte tatsächlich. Eine Deckenleuchte strömte den rötlichen Schein ab, der ein wenig an das Licht einer sinkenden Sonnenscheibe erinnerte. Es reichte aus, um dieses Lager auszuleuchten.
Eine normal hohe Decke lag über uns. Balken zogen sich von einer Seite bis zur anderen.
Es waren drei.
Und am mittleren hing die Gestalt.
Die dunklen Schuhe baumelten dicht über den Boden. Nur ein winziges Stück, aber genau dieses Stück fehlte. Unsere Blicke glitten höher, und wir sahen das schrecklich entstellte Gesicht des Mannes.
Dicht darunter entdeckten wir die graue Haut des Halses, in die sich der Strick eingegraben hatte. Jetzt wussten wir, wo der Wirt war!
»Verdammt noch mal!« flüsterte Bill. Er ballte seine Hände zu Fäusten. »Ob Mensch oder Tier, sie sind gnadenlos, die Fans des Heiligen.«
Ich schwieg, aber ähnliche Gedanken durchzuckten auch meinen Kopf. Es war hell genug, um auch Einzelheiten zu erkennen, deshalb brauchte ich die Lampe nicht einzuschalten. Das Deckenlicht floss wie ein warmer Schleier über die Gestalt hinweg, es drang auch in die offenen Augen, und wir konnten den letzten Ausdruck darin sehr genau erkennen. Eine nahezu irrwitzige Todesangst hatte sich darin festgesetzt und wirkte wie gefroren. Die Schlinge war nicht einmal fachmännisch geknüpft worden, ein Wunder, daß sie das Gewicht überhaupt gehalten hatte.
Im Hintergrund stapelten sich Kisten und Kartons. Auch leere Bierkästen sahen wir. Ein leichter
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