0819 - Der Tod des Heiligen
worden waren. Er hatte sie zum Wohle zahlreicher Menschen eingesetzt und sich so eine riesige Fan-Gemeinde geschaffen.
Es wurde nicht nur geschrieben, man zeigte auch ein Bild von dem Verstorbenen. Der Heilige sah tatsächlich so aus, wie man sich landläufig einen Heiligen vorstellt. Ein schmales, etwas blasses Gesicht, auf dem ein entrückter Ausdruck lag. Langes Haar, das zu beiden Seiten seines Kopfes in welligen Strähnen herabfloss, einen dünnen Mund, relativ kleine Augen, in denen jedoch ein Blick stand, der einen Menschen bis auf den Grund der Seele treffen konnte. Er hatte die Arme erhoben und die Handflächen nach außen gedreht, so daß er an Jesus erinnerte.
»Was sagst du, John?«
Ich hob die Schultern. »Ich sage nur, der Heilige ist tot.«
»Nett, wirklich.«
»Wieso?«
»Klar, er ist tot, das steht ja da.« Bill klopfte mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf den Tischrand. »Aber wie er gestorben ist, das scheint mir interessant zu sein.«
»Wie ist er denn gestorben?«
»Das weiß ich nicht.«
»Ach nein.«
»Ach ja, John. Es weiß keiner. Der Tod des Heiligen ist mysteriös und rätselhaft.«
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Wenn du von einem Rätsel sprichst, hättest du es gern gelöst, so gut kenne ich dich, mein Freund. Wahrscheinlich hast du mich dazu ausersehen, es zu lösen.«
»Mit mir zusammen.«
Ich legte die Zeitung neben mich auf den Boden. »Das mußt du mir erklären, Bill. Bei aller Freundschaft, aber ich weiß nicht, weshalb ich mich um den Tod des Heiligen kümmern soll. Ehrlich, das ist mir eine Etage zu hoch.«
»Warum?«
»Ich sehe keinen Grund. Da hat möglicherweise irgendein Guru Selbstmord begangen und…«
»Nein, nein«, unterbrach mich der Reporter, »ein Guru ist er nicht. Das hat er immer weit von sich gewiesen. Er hat auch keine Sekte gegründet, er hat einfach nur geheilt, und das kraft seiner Hände oder seines Geistes.«
»Er war also ein medizinisches Wunder«, stellte ich fest.
»Richtig.«
Ich leerte meine Tasse. »Bill, ich will dir nicht zu nahe treten, aber du brauchst nur die bunte Klatschpresse aufzuschlagen. Da kannst du bald auf jeder zweiten Seite von irgendwelchen Heilern oder Scharlatanen lesen, die den Ärzten angeblich haushoch überlegen sind. Ich komme da nicht so recht mit, denn diese Heiler sind mir suspekt, nicht nur das. Ich nenne sie Betrüger. Zumindest viele von ihnen.«
»Eben, John, nicht alle.«
Ich sah ihn an. Seine Augen zeigten keinen Spott. Bill war die Sache ernst. »Du meinst also, daß der Verstorbene zu der kleinen Gruppe der echten Heiler gehört hat?«
»So ist es.«
Ich runzelte die Stirn. »Na, da mußt du dir aber schon einige Argumente einfallen lassen, um mich zu überzeugen. So einfach schlucke ich das nicht.«
»Erstens hat er tatsächlich Menschen geheilt. Viele fühlten sich nach einem oder mehreren Besuchen bei ihm wirklich gut, auch Ärzte haben nach den Untersuchungen ihrer Patienten vor manchem Rätsel gestanden, und hinzu kommt, daß The Saint eine große Fan-Gemeinde hat. Er hat vielen geholfen, er ist ein Phänomen gewesen, und nun ist dieses Phänomen tot. Er starb mit dreiundfünfzig.«
»Ein bißchen früh, denke ich.«
»Genau.«
»Und keiner weiß, wie er ums Leben kam.«
»So ist es. Aber er hat eine Botschaft hinterlassen, denn er erklärte, daß mit deinem Tod nicht alles beendet wäre. Er würde zurückkehren, irgendwie, und er hat es so deutlich gesagt, daß ihm seine Patienten voll und ganz Glaubten. Ja, sie glauben an eine Rückkehr des Heiligen, und sie warten darauf.«
Ich war noch immer nicht überzeugt und sagte: »Schön, sie glauben also an eine Rückkehr. Und wie geht es weiter?«
»Es ging weiter«, sagte Bill. Seine Stimme hatte einen ernsten Klang bekommen. »Als sein Tod bekannt wurde, haben zahlreiche seiner Patienten, mindestens zwölf Selbstmord begangen. Das ging quer durch die Bevölkerung, betraf Junge ebenso wie Alte, auch Männer und Frauen. Du kannst das nicht wegdiskutieren.«
Ich schüttelte den Kopf. »Will ich auch nicht, Bill, denn es ist schlimm genug, daß Menschen so etwas überhaupt tun und ihrem Guru oder wie auch immer in den Tod folgen. Ich für meinen Teil denke mir, daß jeder selbst wissen muß, was er tut, aber die Selbstmorde sind doch kein Fall für mich. Wenn überhaupt, müssen sich die normalen Kollegen darum kümmern, was sie bestimmt auch getan haben.«
»Ja, ja, das stimmt schon. Gäbe es da nicht eine
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