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082 - Die weisse Frau

082 - Die weisse Frau

Titel: 082 - Die weisse Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Sky
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beweisen, was für Angsthasen sie waren? Solle es in diesem Schloß wirklich spuken, dann durfte sie sich den Spaß doch nicht entgehen lassen.
    „Das ist eine einmalige Gelegenheit, Trudchen!“
    Sie sagte immer Trudchen zu sich selbst, wenn sie das Gefühl hatte, etwas anzustellen, was nicht ganz in Ordnung war. Dieser Name drückte eine milde Selbstkritik aus und ermächtigte sie zugleich, weiterzumachen.
    Sie lehnte sich gegen die Tür und preßte ein Ohr dagegen. Jetzt war das Wimmern wieder deutlich zu hören. Es klang wirklich nach einem Kind und überhaupt nicht unheimlich. Trotzdem pfiff Harriett noch etwas lauter. Allerdings verstummte sie wieder, als sie die Tür öffnete.
    Der Raum lag in absoluter Dunkelheit. Zaghaft griff sie um den Türpfosten herum und suchte nach einem Lichtschalter, fand aber keinen.
    „Du mußt dich erst an die Dunkelheit gewöhnen“, flüsterte sie sich zu. „Dann geht’s vielleicht.“
    Aber es ging nicht. Die Schwärze blieb undurchdringlich; und das Wimmern lockte. Doch Harriett widerstand. Die Furcht vor der Dunkelheit war zu groß.
    „Lydia?“
    Keine Antwort.
    Harriett drehte sich um und lief die Treppe wieder hinunter. Sie eilte in ihr Zimmer, nahm eine Kerze und Streichhölzer vom Tisch unter dem Fenster und rannte abermals zum Boden hinauf. Vor der Tür zu dem dunklen Raum zündete sie die Kerze an. Sie verbreitete ein beruhigend warmes Licht. Die Kammer verlor alles Unheimliche. Harriett sah einige alte Eichentruhen, die ihr unangenehm das Schicksal Gerlindes ins Gedächtnis riefen.
    Da hinein werde ich jedenfalls nicht klettern, versprach sie sich selbst und betrat den Raum.
    Das Wimmern kam nicht aus einer der Truhen, sondern aus einer Kammer, die hinter einer Holztür lag. Harriett schützte die Flamme der Kerze mit der Hand, ging auf Zehenspitzen zu der Tür hinüber und horchte wieder. Jetzt gab es wirklich keinen Zweifel mehr, woher die Klagelaute kamen.
    „Lydia?“
    Keine Antwort.
    Harriett legte ihre Hand auf den Türgriff und drückte ihn langsam hinunter. Plötzlich schlug ihr Herz bis zum Hals hinauf. Ihr wurde kalt. Es war, als ob die Kälte durch den kleinen Spalt unter der Tür drang und an ihren Beinen wie ein lebendes Wesen hochstieg. Ihre Hand bebte.
    „Angsthase!“
    Sie wollte sich sehr laut und kräftig Mut zusprechen, aber dieses Wort kam wie ein kaum hörbarer Hauch über ihre blassen Lippen. Ihr war, als ob jemand hinter ihr stünde, und sie wagte nicht, sich umzudrehen. Unwillkürlich zog sie die Schultern hoch. Mit der linken Hand griff sie sich an den Hals, als könnte sie so die eisige Knochenhand abwehren, die sich ihr – wie sie meinte – von hinten um den Nacken legte. Ihr stockte der Atem.
    Erbarmungslos zerschnitt das Wimmern die Stille.
    Harriett fuhr so heftig herum, daß die Kerze beinahe erloschen wäre. Hinter ihr stand niemand. Sie war allein auf dem Boden. Erleichtert atmete sie auf.
    „Du großer, weißer Vogel!“ schalt sie sich, aber auch diese Worte kamen recht leise aus ihrem Mund.
    Dann zog sie die Tür auf.
    Ein Windhauch strich eisigkalt über sie hinweg. Die Flamme erlosch. Die kalte Luft, die ihr entgegenschlug, war fast körperlich.
    Unfähig, sich zu bewegen, blickte sie in die Finsternis, aus der ein langgezogenes Wimmern kam, das sich ihr langsam näherte. Ihr war, als könnte sie ausgestreckte Frauenhände sehen, die wie zum Würgegriff gekrümmt waren.
    Hinter ihr fiel die erste Tür zu. Sie wollte schreien, aber sie wußte, daß sie mit dem Unheimlichen allein war und die anderen, die ihr helfen konnten, unendlich weit von ihr entfernt waren.
    Dann glitt, wie von Geisterhand bewegt, eine Tür ihr gegenüber zur Seite, lautlos. Eine Fledermaus flog ihr entgegen. Ein Flügel schlug ihr ins Gesicht.
    Sie schrie auf. Und plötzlich schälte sich eine schimmernde, weiße Gestalt aus der Dunkelheit hinter der Schiebetür. Sie kniete auf dem Boden und wühlte in einem Berg von staubigen Kleidern, die mit winzigen, fluoreszierenden Punkten übersät waren. Die Frau wimmerte und schluchzte.
    Harriett erwachte aus ihrer Erstarrung. Sie konnte wieder etwas sehen. Sie hatte ein Gegenüber, und damit verlor sie einen Teil ihrer Furcht.
    Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und fragte: „Wer – sind – Sie?“
    Dabei trat sie einen halben Schritt vor und streckte schützend eine Hand aus, um nicht irgendwo anzustoßen.
    Die Frau fuhr wie von einer Natter gebissen herum. Im gleichen Moment berührte Harriett den

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