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082 - Die weisse Frau

082 - Die weisse Frau

Titel: 082 - Die weisse Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Sky
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es bereits vor sehr langer Zeit entfernt worden war; die Bruchkante war alt und vergilbt.
    Sie bedauerte, daß ausgerechnet diese Seite fehlte, denn die letzten Zeilen der vorhergehenden ließen ahnen, daß wichtige Informationen folgen sollten. Es ging um den Henker des Schlosses, jenen geheimnisvollen Mann, der viele Jahre unerkannt als angesehener Bürger in der Stadt gelebt hatte.
    Dieser Henker spielte eine verhängnisvolle Rolle auf Schloß Hohenbrück. Sein tragisches Schicksal machte ihn zu einem blutdürstigen Ungeheuer, das mit geradezu wollüstigem Vergnügen sein blutiges Handwerk versah.
    Nachdenklich legte Anne Bloom das Buch zur Seite und verließ das Zimmer. Dr. Lohmann wußte mehr als sie; davon war sie fest überzeugt. Warum sagte er ihr aber nicht alles? Genoß er die Situation wirklich so, wie es manchmal schien?
     

     

Der Henker von Schloß Hohenbrück – spielte er wirklich heute noch eine bedeutende Rolle? Sie konnte es sich nicht vorstellen.
    Nachdenklich ging sie über die Flure des Schlosses, bis sie an der Tür vorbeikam, die zur Folterkammer führte. Sie blieb stehen. Vielleicht gab es unten weitere Hinweise? Hatte Lohmann sein Wissen aus der Folterkammer?
    Anne Bloom öffnete die schwere Holztür, schaltete das Licht an und lief die Treppe hinunter. Wie erwartet, hielt sich niemand in der Kammer auf.
    Die junge Lehrerin ging langsam an den Wänden entlang und griff hier und dort nach einem Folterinstrument, das an der aus Felssteinen gemauerten Wand befestigt war. Sie hoffte, auf diese Weise vielleicht eine bis jetzt verborgene Geheimtür bewegen zu können, aber sie wurde enttäuscht; sie fand nichts.
    Und doch mußte es einen zweiten Zugang geben. Wie sollte Keschmer sonst in die Kammer gekommen sein? Und wie sollte er sie wieder verlassen haben?
    Das Dienstpersonal hatte den Strecktisch inzwischen wieder gesäubert. Auf dem weißgeschrubbten Holz waren keine Blutspuren mehr zu entdecken.
    Auf einem Eichenpodest lag das Buch, in dem die Namen derer standen, die hier im Namen der Gerechtigkeit gefoltert und hingerichtet worden waren. Die Zahl war erschreckend groß.
    Was für eine Gerechtigkeit, dachte Anne. Wie viele mochten wohl ein Verbrechen oder Vergehen gestanden haben, obwohl sie es gar nicht begangen hatten, nur um weiteren Qualen zu entgehen? Was war das für ein Mann gewesen, der seine Opfer gefoltert hatte, unberührt von ihrer Verzweiflung, ihrer Angst und ihren Schmerzensschreien?
    Das Licht ging aus.
    Erstaunt blickte die Lehrerin nach oben. Durch die kleinen, mit dickem Glas versehenen Schlitze dicht unter der Decke drangen noch ein paar spärliche Sonnenstrahlen herein.
    Sie ging zur Wendeltreppe.
    „Hallo?“ rief sie. „Bitte, machen Sie das Licht wieder an!“
    Aber niemand meldete sich. Offenbar hatte jener Unbekannte dort oben an der Tür sich schon wieder zurückgezogen.
    „So was Blödes“, murmelte Anne.
    Hinter ihr klirrte eine Kette. Sie fuhr herum. Es war dunkler geworden. Eine Wolke mußte sich vor die Sonne geschoben haben.
    „Hallo? Ist da jemand?“
    Wieder klirrte eine Kette im Hintergrund des Raumes.
    „Herr Keschmer?“
    Irgend etwas glitt schabend über den Steinfußboden.
    Anne wich zurück. Täuschte sie sich? Sah sie nicht dort hinten in der Ecke einen Schatten? Glich er nicht in seinen Umrissen einer großen, männlichen Gestalt, die eine oben spitz zulaufende Kapuze über dem Kopf trug?
    Sie wandte sich kurz ab und sah dann erneut in die Ecke. Jetzt war sie ganz sicher, daß dort ein Mann stand. Der Unbekannte hatte den rechten Arm ausgestreckt. Die Hand umklammerte eine lange Stange. Einen Speer? Oder ein Schwert?
    In namenloser Angst rannte die Lehrerin die Wendeltreppe hinauf. Sie lief, so schnell sie konnte. Je höher sie kam, desto dunkler wurde es, bis sie schließlich überhaupt nichts mehr sehen konnte. Mit ausgestreckten Armen tastete sie sich vor, um nicht gegen die geschlossene Tür zu prallen. Eine endlose Zeit schien zu vergehen, bis sie sich endlich erreicht hatte. In fieberhafter Eile suchte sie nach dem Türgriff, drückte ihn herunter und warf sich dann mit der Schulter gegen das Holz, aber die Tür gab nicht nach. Derjenige, der das Licht ausgemacht hatte, hatte auch die Tür abgeschlossen.
    Anne tastete nervös nach dem Schalter und drehte ihn herum. Es knackte, aber das Licht ging nicht an. Sie trommelte mit den Fäusten gegen die Tür.
    „Hilfe!“ schrie sie. „Hilfe! Öffnet die Tür! Hilfe!“
    Sie horchte.

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