082 - Die Zeit der Zwerge
eingeschlafen und hatte einen unruhigen Schlaf. Seine Arme machten ständig irgendwelche Reflexbewegungen, in seinem Gesicht zuckte es.
Er hatte die Ereignisse des Jahres 1572 noch einmal durchlebt. Das hatte ihn viel Substanz gekostet. Coco erinnerte sich schaudernd an die eindrucksvolle Schilderung der Szene, als Michele da Mosto Schreie aus einem Haus gehört und dann einen halb aufgefressenen Mann und eine verstümmelte Frau vorgefunden hatte. Obwohl Dorian nichts Genaues über diese Quälgeister ausgesagt hatte, assoziierte Coco sie unwillkürlich mit den Gnomen, die unter Dulas Kommando Donald Chapman entführt hatten.
Sie wollte den Gedanken nicht weiterspinnen, doch sie konnte einfach nicht abschalten. An was sie auch zu denken versuchte, immer wieder schlich sich die eine Frage in ihre Gedanken: Was ist aus Don geworden?
Das war die Welt der Gnome und Zwerge, der Trolle und Kobolde: eine ausgedehnte Höhle unter einer uralten Eiche, kleine Wohnnester, eingebettet zwischen die weitverästelten Wurzeln, verschiedenartige Käfer, die Luziferin absonderten - einen eiweißähnlichen Stoff, der in Verbindung mit Sauerstoff Licht erzeugt - und deshalb von den fußgroßen Geschöpfen verehrt wurden.
Don hätte einen solchen Käfer beinahe zerquetscht, wenn Dula nicht im letzten Moment dazwischengetreten wäre. Sie erklärte ihm, daß diese Käfer heilig seien.
„Komm!" sagte sie und führte ihn vor den Augen der Gnome zu einem im Wurzelstock befindlichen Wohnnest. „Hier ist vorerst unser Heim."
Obwohl Don unzählige Fragen auf der Zunge lagen, gab er sich nur allzu gern dem Vergessen in ihren Armen hin. Oben begann es zu regnen, aber ihr Wohnnest blieb trocken. Nur einmal fand ein Tropfen seinen Weg durch das verfilzte Gestrüpp und hing wie ein Bergkristall von der Decke. Der Schein des Luziferins brach sich tausendfach in ihm.
„Eine Kristallkugel!' rief Dula überschwenglich. „Soll ich dir daraus die Zukunft lesen?"
„Hast du nicht etwas Angst davor?" fragte Don und wickelte sich in die Decke aus Blattfasern.
Dula schüttelte den Kopf, daß ihre schwarzen Haare flatterten. „An deiner Seite kann die Zukunft nur verheißungsvoll sein. Don - ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, dich gefunden zu haben."
Er entschloß sich, ihr jetzt die Fragen zu stellen, die ihn bedrückten.
„Erzähle mir etwas über dich, Dula!" bat er. „Was hast du im vergangenen halben Jahr so getrieben? Wie hast du Kontakt zu diesen - Wesen bekommen? Wie kamst du nach Andorra?"
Sie fing den Wassertropfen auf und ließ ihn über ihre Hand und den Arm gleiten; als er zwischen ihren vollen Brüsten perlte, leckte Don ihn mit den Lippen auf.
„Da gibt es nicht viel zu erzählen", sagte sie. „Ich bin lange durch das Baztan-Tal geirrt, Tage, ja, Wochen, bevor ich auf Leonardo und sein Volk stieß. Sie nahmen mich ohne viele Fragen bei sich auf und behandelten mich gut. Und dann zogen wir in einem langen, mühseligen Marsch hierher. Und hier fand ich dich."
Das geschah doch nicht alles zufällig", sagte Don. „Nein, an eine solche Aneinanderreihung von Zufällen glaube ich nicht."
„Wer sagt, daß ich dich zufällig fand?" Sie lächelte, und dann war sie besonders schön. „Ich habe nach dir gesucht, und Leonardo und seine Leute haben mir dabei geholfen. Leonardo muß dieser Entschluß schwergefallen sein, denn er begehrte mich."
„Dieses Ratten-Monster?" rief Don angewidert.
„Pst!“ machte sie erschrocken. „Wenn er dich hört! Ich möchte nicht, daß du so über ihn redest. Du darfst ihn nicht nach dem Äußeren beurteilen, ebensowenig wie die anderen."
„Na, ihre Prinzipien scheinen auch nicht gerade auf moralischen und ethischen Grundsätzen zu basieren."
„Du darfst sie nicht mit menschlichen Maßstäben messen. Sie sind - eben anders als Menschen. Ein eigenes Volk. Und wir gehören dazu. Wenn du sie erst einmal näher kennengelernt hast, dann fällt dir ihr Aussehen gar nicht mehr auf."
„Und du glaubst, Leonardo und seine Gefährten genau zu kennen?"
„Ich war lange genug bei ihnen."
„Vielleicht haben sie sich dir gegenüber nur verstellt."
„Don! Warum willst du nicht mir zuliebe wenigstens versuchen, deine Vorurteile abzubauen?" „Gut", beschwichtigte er sie. „Ich werde mich bemühen. Aber ich glaube nicht, daß mir dieses Leben gefallen wird."
„Gib mir eine Chance!" bat sie. „Nach Basajaun können wir immer noch zurückkehren - das heißt, wenn mich deine Freunde
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