Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
082 - Niemand hört dich schreien

082 - Niemand hört dich schreien

Titel: 082 - Niemand hört dich schreien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.F.Morland
Vom Netzwerk:
Gemeinde, warst lange Zeit ein anständiger Junge, der seinen Eltern viel Freude machte. Dein Vater war mit Recht stolz auf dich. ›Aus meinem Jungen wird mal ein großer, achtbarer Mann‹, sagte er oft, und niemand hatte einen Grund, an seinen Worten zu zweifeln. Ich habe dir das heilige Sakrament der Taufe gespendet, habe Anteil genommen an deinem Leben. Denkst du, ich sehe jetzt zu, wie du auf die schiefe Bahn gerätst?«
    »Meine Sache.«
    »Glaubst du! Aber ich mache deine Sache zu der meinen, und ich schwöre dir, du kommst hier nicht raus, ehe du mir versprochen hast, daß du dieses verkommene Mädchen nicht wiedersiehst. Sie ist nicht gut für dich.«
    »Was wissen Sie als Priester denn schon, was für einen Mann gut ist? Sie sind ja kein Mann, dürfen keiner sein.«
    »So, ein Mann bist du also. Mit deinen ganzen sechzehn Jahren schon ein Mann.«
    »Warum nicht?«
    »Dann benimm dich auch gefälligst wie einer und mach deinen Eltern keine Schande mehr.«
    »Verdammt, warum hören Sie nicht auf, meine Seele retten zu wollen?«
    »Du hast ein Fahrrad gestohlen.«
    »Ich brauchte Geld für Yvonne.«
    »Weil sie nichts von dir wissen will, wenn du kein Geld hast.«
    »Yvonne liebt eben das Geld.«
    »O ja, das glaube ich gern, und ich wette, für Geld tut sie alles. Und dich, dich liebt sie nur, wenn du Geld in deinen Taschen hast. Merkst du nicht, was für einen schlechten Charakter sie hat?«
    »Warum versuchen Sie dann nicht ihre Seele zu retten, Pater?«
    »Weil es bei ihr vergebliche Liebesmühe wäre, bei dir aber nicht. Du wirst mit Yvonne Schluß machen und sie nicht wiedersehen. Versprichst du mir das?«
    »Nein!«
    »Du wirst dir ein anständiges Mädchen suchen und dich nie mehr am Eigentum anderer vergreifen. Gib mir dein Wort darauf!«
    »Ich denke nicht daran!«
    »Sei nicht störrisch, Julian!«
    »Verdammt, was machen Sie da, Pater! Wieso krempeln Sie Ihre Ärmel hoch? Das… das dürfen Sie nicht tun! Sie dürfen mich nicht schlagen! Sie sind Priester…!«
    »Um deine Seele zu retten, ist mir jedes Mittel recht!« behauptete Pater Severin. »Ich werde dich auf den rechten Weg zurückführen, mein Sohn, verlaß dich drauf!«
    »Halt, Pater! Bleiben Sie stehen! Kommen Sie keinen Schritt näher! Stehenbleiben, habe ich gesagt. Zwingen Sie mich nicht, mich zu wehren! Sie sind Priester…«
    »Stört dich die Soutane? Ich lege sie ab.«
    Julian rüttelte an der Tür, aber es war abgeschlossen. Ich hörte es klatschen und Julian quiekte. Wieder klatschte es. Dann prallte dumpf ein Körper gegen die Tür. Jemand ächzte. Es war bestimmt nicht Pater Severin. Dem Gottesmann war es auf diese ungewöhnliche Weise, die sein Bischof mit Sicherheit nicht gutgeheißen hätte, schon oft gelungen, selbst den störrischsten Widerstand weichzuklopfen und zu brechen.
    Komischerweise hatte sich noch nie jemand über diese unorthodoxe Seelenrettung beschwert. Im Gegenteil, die Geretteten waren dem Priester hinterher unendlich dankbar, daß er sie nicht aufgegeben, sondern auf den rechten Pfad der Tugend zurückgeführt hatte. Vermutlich würde es in Julians Fall genauso sein.
    Im Moment litt er noch, aber nicht mehr lange, denn sobald Pater Severin das gewünschte Versprechen bekommen hatte, öffnete sich für den Jungen die Tür.
    Er hätte mich beinahe über den Haufen gerannt, hielt sich die roten Wangen und trachtete, so rasch wie möglich aus dem Pfarrhaus zu kommen.
    Äußerst kriegerisch sah Pater Severin mit den hochgekrempelten Ärmeln aus. »Tony!« rief er erfreut aus, als er mich erblickte.
    »Na, Severin, wieder einmal ein verlorenes Schäfchen gerettet?« sagte ich schmunzelnd und trat ein.
    »Manchmal kommt man ohne schlagkräftige Argumente nicht aus«, sagte der Priester, stellte einen Stuhl auf, der umgefallen war, und schob die Ärmel wieder nach unten. »Du kannst mir glauben, ich fühle mich dabei niemals wohl, aber bevor ich zusehe, wie jemand aus meiner Gemeinde abrutscht, lange ich lieber rechtzeitig zu.«
    »Und der Erfolg zeigt, daß du richtig handelst«, sagte ich.
    Wir hatten einander eine Weile nicht gesehen, deshalb gab es viel zu erzählen. Pater Severin bot mir Platz und ein Glas Meßwein an. Beides nahm ich dankend an. Dann sprach ich über die gravierendsten Ereignisse der jüngsten Vergangenheit. Der vierschrötige Priester hörte mir aufmerksam zu. Er hatte dunkle, sanfte, gutmütige Augen, ein schmales Gesicht und das kräftige Gebiß eines Pferdes. Gespannt folgte er meinen

Weitere Kostenlose Bücher