082 - Niemand hört dich schreien
Steine… Oder auf den Steinen… Ich weiß es nicht… Eine Fratze war es…«
»Also was nun? Ein Gesicht oder eine Fratze?«
»Eine grauenerregende Fratze, und sie hat mich angegrinst. Ich habe Angst, Nick. Das hat nichts Gutes zu bedeuten.«
Paul Irving ging weiter. Die Besucher folgten ihm. Nur Lilly Kovacs und Nick Carpenter blieben stehen. »Was immer du gesehen hast«, sagte Nick, »es war nicht wirklich vorhanden. Du hast es dir eingebildet.«
»So etwas Entsetzliches kann man sich nicht einbilden, Nick.«
»Du hast keine Ahnung, was für Streiche uns unsere Phantasie spielen kann, wenn wir Angst haben.« Carpenter griff nach den Schultern des verstörten Mädchens. »Ich will dir mal was sagen, Lilly. Hier war ein verdammt cleveres Kerlchen am Werk. Ich gebe zu, die raffinierten Effekte sind ganz gruselig, aber sie wurden von einem Menschen geschaffen. Vielleicht hat es den Hexer Clive Pendrake tatsächlich mal gegeben, das will ich gar nicht bestreiten. Aber daß er noch lebt, daß er zurückkehren kann, wenn er will, das ist Quatsch. Das serviert man uns hier nur, damit wir voll auf unsere Kosten kommen. Wir haben dafür bezahlt, um uns zu gruseln. Es ist genauso, wie wenn du dir ein Ticket für die Geisterbahn kaufst. Alles ist nur Illusion, nichts weiter. Wenn du aus der Geisterbahn rauskommst, lachst du über deine Angst - und genauso verhält es sich mit Drake Castle.«
»Und die glühenden Steine? Und das fluoreszierende Leuchten, das aus den Fugen sickerte?«
»Jede Wette, daß die Steine nicht geglüht haben. Vielleicht sind hier irgendwo rote Scheinwerfer versteckt, und in den Fugen könnte sich Phosphor befinden - was weiß ich. Die Fratze hast du selbst hinzugefügt. Autosuggestion nennt man das. Du wolltest ein unheimliches Gesicht sehen, also hast du auch eins gesehen.« Nick Carpenter lächelte. »Lilly, du darfst nicht immer alles für bare Münze nehmen, wenn man dir etwas erzählt.« Er umarmte sie. »Gott, du bist noch so schrecklich naiv, Kleines. Du mußt noch sehr viel lernen. Das alles hier ist doch nur Humbug.«
Lilly Kovacs starrte die zugemauerte Tür an. Was Nick gesagt hatte, reichte nicht, um ihre Angst zu zerstreuen. Sie spürte doch, daß hier irgend etwas nicht stimmte. Es konnte nicht erfunden sein, was der Führer gesagt hatte. Hinter dieser zugemauerten Tür lauerte tatsächlich das Grauen.
»Zauberei, Magie«, sagte Nick Carpenter und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Höchstwahrscheinlich war Pendrake nicht einmal ein Hexer, sondern einfach nur ein verdorbener, böser Mensch. Früher war man mit dem Prädikat Hexer schnell bei der Hand.«
Jetzt erst fiel Lilly auf, daß sie mit Nick allein in dem unheimlichen Raum war. Nur noch gedämpft drangen die Stimmen der anderen Besucher an ihr Ohr.
Furcht legte sich wie eine eiskalte Hand auf ihre Kehle. »Wir müssen weiter, Nick!« sagte sie heiser.
»Erst beweise ich dir, daß es hier keinen Spuk gibt«, sagte der junge Mann. »Komm!« Er wollte mit Lilly näher an die zugemauerte Tür herantreten, doch das Mädchen sträubte sich.
»Laß das, Nick. Gehen wir, b-i-t-t-e!«
Da er kräftiger war als sie, setzte er seinen Willen durch. »Nur einen Augenblick«, sagte er. »Wir holen die anderen mit Leichtigkeit ein. Wie sagte der Mann, der uns führte? Wir sollten uns auf die zugemauerte Tür konzentrieren, aber auf gar keinen Fall den Namen des Hexers aussprechen.«
Lilly Kovacs blickte ihren Freund entgeistert an. »Um Himmels willen, du wirst das doch jetzt nicht tun!«
»Warum nicht?«
»Damit beschwörst du eine Gefahr herauf…«
»Ich werde dir das Gegenteil beweisen«, sagte Nick Carpenter entschlossen. »Paß mal auf.«
»Nein! Nicht!« Lilly wollte ihm den Mund zuhalten, doch er fing ihre Hand ab und drückte sie nach unten.
Und dann sagte er laut und furchtlos: »Pendrake! Clive Pendrake! Wenn du dich tatsächlich hinter dieser zugemauerten Tür befindest, gib uns ein Zeichen!« Er grinste seine Freundin an. »Du wirst sehen, nichts wird passieren.«
Aber er irrte sich. Zum letzten Mal in seinem Leben…
***
»So sieht es aus«, sagte der Ex-Dämon. »Das Böse hat angefangen, deine Seele zu vergiften, und wir müssen uns eine Lösung für dieses Problem überlegen. Noch überwiegt das Gute in dir, aber glaube mir, so wird es nicht bleiben. Das schleichende schwarze Gift wird dich mehr und mehr verderben. Asmodis hätte dich nicht laufenlassen, wenn es nicht so wäre. Er rechnet damit, daß
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