0822 - Flüstern, schreien, töten
Hände.
Falco war ziemlich groß und schaute auf sie nieder. Er merkte an ihrer leichten Nervosität, dass sie noch ein Problem hatte. »Ist was?«
»Ein bisschen. Ich habe dir die Frage vorhin gestellt und bekomme noch eine Antwort.«
»Was meinst du?«
»Ganz einfach. Ich will nur wissen, wer du bist? Das hast du mir bisher noch nicht gesagt.«
»Ist das so wichtig?«
»Für mich schon.«
Der Mund in seinem kantigen Gesicht zog sich in die Breite. »Ich will es dir sagen. Ich bin ein Engel, verstehst du? Ich bin einfach ein Engel.«
Edda starrte ihn an. Sie sah aus wie jemand, der nicht wusste, ob er lachen oder weinen sollte. »Du… du… bist was?«
»Ein Engel.«
Sie nickte. »Ich kenne Engel«, sagte sie so leise, dass er die Worte gerade noch verstehen konnte. »Das sind Engel ohne Flügel, die etwas verkaufen.«
»Was denn? Himmelbrot?«
»So ähnlich, aber in Staubform. Man sagt auch Engelsstaub dazu, verstehst du?«
»Stoff!«
»Richtig.«
Er schaute in ihr lachendes Gesicht und schüttelte den Kopf. »Nein, da liegst du auf der falschen Matte, Süße, damit habe ich nichts zu tun.«
Edda winkte ab. »Okay, du brauchst nichts zuzugeben, überhaupt nichts. Ist mir auch egal. Ich wollte dir nur beweisen, Ray, dass ich so dumm auch nicht bin. Engelsstaub kenne ich.«
»Hast du gefixt?«
»Nie.«
»Aber gekifft.«
»Das tun viele.«
»Mir ist es egal.«
»Und mir auch.«
Sie schauten sich an wie zwei Verschwörer, und beide lachten plötzlich.
»Also dann«, sagte Falco, »wir sollten nicht länger in dieser Mistbude hier hängen. Du hast alles, was du brauchst.«
»Das trage ich am Körper.«
»Dann verschwinden wir.«
Edda nickte. Als sie sich bei ihrer neuen Bekanntschaft einhenkte, drehte sie sich noch einmal um, als wollte sie einen letzten Abschiedsblick in den Raum werfen, denn hier zog sie nichts wieder hin. Sie fand es einfach widerlich, sie ekelte sich davor, sie hasste alles, was sie hier sah, und sie hätte gern auf den Boden gespuckt.
Beide bewegten sich auf den Ausgang zu, und Edda ging an seiner rechten Seite. Er ließ sie bewusst so gehen, dass sie im Schatten einer Wand blieb, denn auf diese Art und Weise fielen sie am wenigsten auf. Zudem hatten die Tänzer andere Sorgen, als sich um die Umgebung zu kümmern, und die Gäste am Tresen schlürften ihr Bier und hatten keinen Blick dafür, wer kam oder ging.
Kurz hinter dem Eingang wurden sie sekundenlang in das gespenstisch bleiche Licht getaucht. Da sahen sie aus wie zwei Gespenster, die durch die Nacht schlichen.
Das Wetter hatte sich nicht verändert. Nach wie vor nieselte es, und die graue Dunkelheit war überall. Schon wenige Schritte später lag die Disco hinter ihnen, als wäre sie in einer anderen Welt verschwunden.
Edda drückte sich eng gegen ihren neuen Begleiter. Sie hatte den Kopf nach vorn geschoben, sich klein gemacht und schimpfte über den auf sie herabnieselnden Regen.
Falco bewegte seine Augen. Er schaute nicht nur nach vorn, sondern auch zur Seite, weil er immer wieder nach irgendwelchen potentiellen Zeugen Ausschau hielt. Zwar näherten sich andere Gäste der Disco, aber die zeigten für ihre Umgebung kein Interesse. Sie schauten stur geradeaus und beeilten sich, so rasch wie möglich das Ziel zu erreichen.
»Ist es noch weit bis zu deinem Wagen?«
»Nein, nein, ein paar Schritte noch.«
»Gut. Geduscht habe ich heute Morgen schon.« Sie lachte und wischte Wasser aus ihrem Gesicht.
Falco sah die Umrisse des Austin. Als sie ihn erreichten, schaute er sich das Fahrzeug noch einmal genau an. Niemand hatte sich an ihm zu schaffen gemacht. Er schloss die Tür auf und sah, wie Edda schauderte. »Was hast du?«
»Da brennt ja nicht mal das Innenlicht.«
»Es ist defekt.«
Sie hob die Schultern und stieg ein. Dabei hatte sie für einen schrecklich langen Moment das Gefühl, in einen Sarg zu kriechen. Sie schüttelte sich, sie kaute auf ihrer Unterlippe und fragte sich, ob sie es richtig gemacht hatte. Noch konnte sie zurück. Für einen Moment erstarrte die junge Frau.
Dann aber schossen ihr die Bilder aus der Kantine durch den Kopf. Tag für Tag erlebte sie diese Hölle. Das war kein Leben, das war wie in einem Knast. Nichts konnte schlimmer sein als dieser verfluchte Mist.
Edda stieg ein.
Der Mann wartete noch einen Moment. Auch deshalb, weil sie den Triumph in seinen Augen nicht sehen sollte. Er blickte über das Wagendach hinweg und hatte plötzlich den Eindruck, sich zu verdoppeln. Sein
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