0822 - Nomaden der Hölle
fragen, ob du hungrig bist?«
Mirjads glänzende Augen bewiesen ihr, wie richtig sie mit dieser Vermutung lag. Minuten später machte sich die Korsin über ein Frühstück her - und Nicole gestand sich ein, dass Mirjad eine begnadete Esserin war. Unmengen an Toast und Croissants verschwanden in ihrem Mund, wurden mit Kaffee und Saft hinuntergespült.
»Wie lange hast du nichts mehr gegessen?« Nicole ahnte die Antwort.
Mirjad sah sie mit großen Augen und vollen Backen an. Hastig schluckte sie einen großen Brocken, damit sie überhaupt zu einer Antwort fähig war. »Ein paar Tage werden es schon sein. Ich bin getrampt - und dabei natürlich möglichst unsichtbar geblieben.«
Nicole Duval ließ der Kleinen Zeit. Bis Zamorra auftauchte, würden noch gut zwei Stunden vergehen. Die Zeit sollte reichen, um Mirjad satt zu bekommen. Es sei denn, sie würde zuvor platzen…
Irgendwann jedoch lehnte sich die Korsin zurück und atmete zufrieden aus. »Ich danke dir, Nicole. Du kannst dir nicht vorstellen, wie groß das Loch in meinem Bauch war.«
»Wenn es jetzt einigermaßen gestopft ist, kannst du mir ja erzählen, was dich gerade zu uns geführt hat.« Nicole goss Mirjad ein weiteres Glas Saft ein und schob es ihr über den Tisch.
Mirjads Augen schienen plötzlich in eine weite Ferne zu blicken. »Nach Khiras Beerdigung hat mich Gryf nach Korsika gebracht. Gemeinsam wollten wir uns Tan Morano vorknöpfen.«
Nicole erinnerte sich. Mirjad war von dem Silbermonddruiden mehr als beeindruckt gewesen. Und Gryf nicht minder von dem Mädchen, das mit Sarkanas Vampirbande kurzen Prozess gemacht hatte. Ihr Klappmesser - eine rituelle Waffe der korsischen Blutrache - hatte im aufgeklappten Zustand die Länge eines Kurzschwerts. Eine schreckliche Waffe, die Mirjad meisterhaft zu führen verstand. Und Mirjad kannte keinerlei Skrupel, wenn es um Blutsauger ging. Irgendwie waren Gryf und die Korsin seelenverwandt.
Mirjad sprach weiter. »Aber wir fanden weder ihn, noch seine Helfer. Weg, einfach verschwunden! Wahrscheinlich war ihm sein Versteck dort zu heiß geworden. Er wollte eine Konfrontation vermeiden. Und er konnte sich ja ausmalen, dass ihr und Gryf durch mich von seinem Schlupfloch erfahren würdet. Gryf verschwand bald darauf wieder…«
Ein leichtes Blinzeln von Mirjad sagte Nicole, dass das Mädchen sich in den Blondschopf verguckt hatte. Aber welche Frau tat das nicht?
»Ich bin wieder in das Haus meiner Eltern gezogen. Alle taten, als wäre nichts geschehen. Verstehst du, Nicole? Als hätte es die grausame Zeit unter dem Maitre nie gegeben! Ich… ich wusste überhaupt nichts mehr…«
Nicole hielt sich zurück, ließ Mirjad einfach reden. Doch sie machte sich ihren eigenen Reim auf das Gehörte. Entweder waren die Bewohner in Mirjads Dorf wahre Meister der Verdrängungstaktik, oder Morano hatte suggestiv nachgeholfen; die Fähigkeiten des uralten Vampirs waren groß, so groß, dass Nicole ihm durchaus zutraute, einer ganzen Dorfgemeinschaft die Erinnerungen an einen bestimmten Zeitraum zu nehmen.
»Ich habe wirklich versucht, mir wieder ein ganz normales Leben aufzubauen.« In Mirjads Stimme schwang Unsicherheit und-Verzweiflung mit. »Ich kann es nicht mehr. Nicht mehr so leben, wie die anderen dort. Ich habe zu viel gesehen. Khira, Sarkana, Gryf -du und Zamorra. Und ich kann meinen Hass auf Morano nicht einfach so vergessen. Ich will ihn töten, Nicole!«
Die Französin erschrak vor dem Blick der Korsin. Ja, das war schierer Hass, der ihr da entgegenblitzte. Der Hass einer Kindfrau, der unstillbar loderte.
Und Nicole konnte Mirjad sogar verstehen. Zu gerne wäre sie es selbst gewesen, die Morano den Pflock in Herz trieb! Er war es gewesen, der sie in sein Bett gebracht hatte. Mit freiem Willen oder nicht - die Erinnerung an diesen damaligen Akt der Untreue gegenüber Zamorra machte Nicole Duval immer noch rasend vor Wut und Ohnmacht. Morano war ihnen immer wieder entkommen; selbst Gryf, der Erzfeind des Aristokraten unter den Vampiren, hatte ihn nie ganz zur Strecke bringen können.
Es wurde Zeit, dass sich dies änderte. In Mirjad hatte Morano eine unbarmherzige Feindin gefunden - er sollte sich hüten, ihr offen gegenüberzutreten. Nicole legte eine Hand auf die Faust der Korsin, die geballt und verkrampft über die Tischplatte fuhr. Zunächst einmal musste die Kleine beruhigt werden. Das war wichtiger als alles andere.
»Wir wissen auch nicht, wo er sich jetzt aufhält. Aber es ist dennoch gut, dass
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