0826 - Der knöcherne Hexer
Nacht gesehen haben.«
Sprachlos schaute mich die Frau an. Ich gab ihr die nötige Zeit, die Worte zu verdauen, und sie schluckte einige Male, wobei sie scheu zu dem Hundekadaver hinschaute. »Das wäre mir nicht einmal im Traum eingefallen, John, wirklich nicht.«
»Aber Sie haben das Skelett gesehen.«
»Schon, es lebte auch. Ich wunderte mich, nur wäre ich darauf nicht gekommen, wenn ich ehrlich sein soll. Aber man lernt eben nicht aus.«
»Ist es denn so unwahrscheinlich, wenn Sie daran denken, was Sie erlebt haben?«
»Eigentlich nicht, wenn ich genauer darüber nachdenke. Nur kann ich es mir schlecht vorstellen.«
»Das glaube ich Ihnen gern.«
»Und wo ist es jetzt?«
Ich hob die Schultern. »Es wird sich versteckt haben, aber das ist für mich nicht das Problem. Ich denke eher darüber nach, wie es überhaupt zum Leben erwachen konnte.«
»Da können wir nur raten.«
»Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich bin beinahe davon überzeugt, dass uns Freund Mullion mehr darüber sagen kann.«
»Meinen Sie?«
»Ja, erinnern Sie sich daran, dass ich den Leuten gesagt habe, wir würden noch auf sie zukommen. Ich denke mal, dass der richtige Zeitpunkt da ist.«
»Scott Mullion wird nicht reden.«
»Warum nicht?«
»Er hat zu viel Angst.«
»Das könnte sein, aber die werdenwir ihm nehmen. Darauf können Sie sich verlassen. Wissen Sie, wo er wohnt?«
»Nein. Nur das zu erfahren, ist kein Problem. Jedenfalls nicht im Leuchtturm, obwohl er dort oft hockt. Ich habe mich auch von da oben beobachtet gefühlt und kann mir gut vorstellen, dass es Scott Mullion gewesen ist.«
Ich legte meinen Arm um ihre Schultern. »Es hat keinen Sinn, dass wir uns in Vermutungen ergehen, wir werden ihn einfach fragen. Und glauben Sie mir, er wird antworten…«
***
Scott Mullion wohnte am Ortsrand von Coverack in einem alten, etwas schiefen Haus mit Garten, der an der Westseite durch eine Steinmauer vor dem Wind geschützt wurde.
Der Himmel hatte sich in den letzten dreißig Minuten noch mehr bezogen, trotzdem sah es nicht nach Regen aus, denn die langen Wolkenformationen trieben sehr hoch über uns.
Unsere Stimmung hatte sich dem Wetter angeglichen, auch die Temperatur war gefallen. Meiner Schätzung nach lag sie fünf Grad über dem Gefrierpunkt.
Zur Haustür hin führte ein schmaler Weg. Zu beiden Seiten säumten ihn Steine, die allerdings nicht so hoch waren wie eine normale Mauer, und die Knöchelhöhe nicht verließen.
Die Tür hatte man dunkelgrün gestrichen. In der oberen Hälfte war die Farbe abgeblättert. Die Tür selbst bildete die Rückwand einer tiefen Nische, und nach einer Klingel oder Schelle hielten wir vergebens Ausschau.
Meine Begleiterin schüttelte sich undzog die Nase hoch. »Sieht ziemlich verlassen aus, der Bau.«
»Wissen Sie, ob Mullion verheiratet ist?«
»Ich kann es mir vorstellen.«
Ich klopfte nicht, sondern hämmerte einmal mit der Faust ziemlich heftig gegen das Holz. Ein zweites Mal brauchte ich nicht zuzuschlagen, denn die Tür hatte schon beim ersten Treffer nachgegeben und schwang vor unseren Augen auf. Sie schrammte über einen dunklen Steinboden.
Wir schauten in einen größeren Raum, der mich an die Küche eines Bauernhauses erinnerte. Ein Kamin war vorhanden, eine Holzbank mit dicken Polstern. Es gab rustikale Regale, und ein großer Holzschrank stach mir ins Auge, dessen rechte Tür nicht geschlossen war. Im rechten Winkel zum Schrank stand sie offen. Was sich darin befand, konnte ich nicht sehen, weil es einfach zu dunkel war.
Wir wollten ein fremdes Haus betreten und hatten beide unsere Bedenken. Deshalb blieben wir zunächst auf der Schwelle stehen, und ich nickte Swenja zu. Wenn die Stimme einer Frau erklang, schwand das Misstrauen der Menschen ein wenig.
»Mr. Mullion?« rief sie. Wir erhielten keine Antwort, und Swenja versuchte es erneut.
Auch jetzt meldete sich niemand, deshalb versuchte ich es zum dritten Mal.
Wieder ohne Erfolg.
»Vielleicht sind sie oben?« flüsterte Swenja.
»Kann sein«, sagte ich und ging vor. Ich bewegte mich nach links auf den Schrank zu und war kaum zwei Schritte gegangen, als ich einen bestimmten Geruch wahrnahm. Ich wollte ihn ignorieren, wollte ihn einfach nicht wahrhaben, aber er ließ sich nicht wegdiskutieren. Er blieb auch weiterhin, und mir sträubten sich die Nackenhaare.
Das war Blutgeruch.
Ich hatte auch seine Quelle herausgefunden, denn der Geruch strömte aus dem Schrank mit der offenen Tür. Auf
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