0827 - Der Dämon von Songea
es die Stelle war, an der James Mutombo gearbeitet hatte.
»Also ist unser lieber James doch nicht nur ein wenig schreckhaft«, flüsterte Nicole.
»Offensichtlich nicht.« Vorsichtig lugte Zamorra um die nächste Ecke. Der Gang lag genauso leer vor ihm wie der vorherige. Schnell arbeiteten sie sich bis zum nächsten Regal vor Niemand versuchte, sie aufzuhalten. Merlins Stern schien sich sogar etwas abzukühlen.
»Es ist nur eine schwache Präsenz«, sagte Nicole. »Mehr wie ein Echo…«
Zamorra nickte. »Wer oder was auch immer hier gewesen ist, war stark genug, um eine Spur zu hinterlassen, und ist offenbar schon wieder weg.«
Nur um sicher zu gehen, durchsuchten sie auch die übrigen Regalreihen, ohne noch auf etwas Verdächtiges zu stoßen.
»Das war’s dann wohl. Der Vogel ist ausgeflogen«, sagte Zamorra frustriert, als sie wieder an James’ Arbeitsplatz angelangt waren. »Dann bleibt uns nur noch eine Möglichkeit…«
»Die Zeitschau!«
Zamorra nickte. Mit Hilfe von Merlins Stern konnten Zamorra und Nicole in die Vergangenheit schauen. Allerdings nur bis zu 24 Stunden. Die Zeitschau war so kräftezehrend, dass jeder Versuch, weiterzugehen, unweigerlich tödlich gewesen wäre.
Zamorra nahm das Amulett in beide Hände und versetzte sich mittels eines posthypnotischen Schaltworts in Halbtrance. Sofort verwandelte sich der stilisierte Drudenfuß in der Mitte des Amuletts in eine Art Mini-Bildschirm, auf der Zamorras unmittelbare Umgebung zu sehen war. Nicole stellte sich neben ihn, damit sie alles sehen konnte, was sich auf dem magischen Bildschirm tat.
Langsam ging der Parapsychologe in der Zeit zurück. Wie in einem rückwärts laufenden Film sahen die beiden Dämonenjäger sich selbst, wie sie die Regalreihen absuchten. Dann erschien James. Mit panikverzerrtem Gesicht rannte er rückwärts, setzte sich und begann, die Bücher zu studieren. Zamorra hielt das Bild an und ließ die Zeitschau langsam vorwärts laufen, bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Historiker, durch irgendetwas aufgeschreckt, irritiert aufsah. Dann fror er das Bild erneut ein.
Automatisch bewegte sich der Parapsychologe in die Richtung vor, in die James Mutombo geblickt hatte. Am Rande seines Bewusstseins registrierte er, dass ihm Nicole folgte. Zamorra sah die Bilder aus der Vergangenheit gleichzeitig auf dem Schirm und direkt in seinem Bewusstsein. Doch nichts deutete darauf hin, was den Historiker so in Panik versetzt haben könnte.
Unversehens stand Zamorra vor einem weiteren Regal. Der Dämonenjäger umrundete das Hindernis - und erstarrte. Etwa zwei Meter vor sich sah er in der Zeitschau einen Schatten. Es war aus dieser Perspektive kaum mehr als die Ahnung einer Gestalt, die weitgehend hinter einem Regal verborgen war.
Obwohl das, was er in der Zeitschau sah, längst nicht mehr dort war, spürte Zamorra eine eigentümliche Beklemmung, als er sich dem Regal näherte. Das Amulett erwärmte sich wieder etwas, als es die Spur wahrnahm, die das Böse in der Zeit hinterlassen hatte.
Auch als Zamorra dem unheimlichen Schatten immer näher kam, wurde die Gestalt nicht konkreter. Sie schien kaum mehr als ein dunkler Nebel zu sein, der sich dem Blick des Betrachters selbst als eingefrorenes Standbild zu entziehen versuchte.
»Was ist das?«, flüsterte Nicole. Zamorra entging nicht das leichte Zittern in ihrer Stimme.
Endlich - er hatte den Schatten fast erreicht - schälten sich Konturen aus dem Nebel heraus. Zamorra bewegte sich zwei Schritte nach links und konnte das Gesicht der grotesken Erscheinung aus der Vergangenheit sehen. Er kannte die Fratze, die ihn jetzt direkt anzustarren schien, von alten Fotos, die ihm James gezeigt hatte. Sie gehörte einem Mann, der längst tot sein sollte und doch seinen Weg ins Leben zurückgefunden hatte.
Hauptmann Ferdinand von Hardenberg.
***
1905
Die Schreie der Gefolterten störten Heinrich von Smolders’ Sinn für Ruhe und Ordnung. Unruhig rutschte der Bezirksamtmann von Songea auf seinem Stuhl hin und her und versuchte, das Gebrüll so gut es ging zu ignorieren. Dankbar nickte er Hardenbergs Adjutanten Hans Müller zu, der ihm eine dampfende Tasse Tee reichte.
»Es geht doch nichts über eine gute Tasse Tee. Das bringt ein Stück Zivilisation in diese barbarische Wildnis«, sinnierte er, als ein weiterer gellender Schrei sein Trommelfell zu zerreißen schien. »Was zum Teufel macht er da drin?«
»Er verhört Zauberer«, murmelte Leutnant Müller und starrte unglücklich in
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